Die Mär vom nachhaltig produzierten Christbaum aus heimischen Wäldern hält sich hartnäckig. Migros-Sprecherin Monika Weibel erklärt, dass Christbäume «grundsätzlich nicht behandelt werden».
Auch ein Vertreter der Baumarktkette Jumbo sagte im «Blick»-Interview, dass Schweizer Bäume «nachhaltiger» seien «als gewisse Produkte aus dem Ausland». Pestizide seien in Schweizer Wäldern verboten.
Was er nicht sagte: Drei Viertel der Schweizer Christbäume wachsen nicht im Wald heran, sondern auf landwirtschaftlichen Flächen. Und dort ist der Pestizideinsatz erlaubt.
Vertreter der Bauernvereinigung Vision Landwirtschaft stellten bei Stichproben in den Kantonen Zürich und Aargau denn auch fest, dass 8 von 15 überprüften Landwirten beim Anbau ihrer Christbäume flächendeckend Herbizide einsetzen. Jeder zweite Produzent hatte zudem beim Spritzen gesetzliche Vorgaben wie den Sicherheitsabstand zu Gewässern, Wegen und Gehölzen nicht eingehalten.
Laut Andreas Bosshard von Vision Landwirtschaft «stammt der grösste Teil der Schweizer Christbäume aus flächendeckend mit Herbiziden abgespritzten Kulturen». Häufig benützten die Produzenten zusätzlich Gifte gegen Insekten und Pilze.
Stefan Oberholzer, Präsident des Produzentenverbands IG Christbaum, sagt, dass «nur ein Drittel der rund 230 Produzenten ihre Anbauflächen mit Herbiziden behandeln». Bosshard geht aufgrund weiterer Erhebungen von Vision Landwirtschaft von «über 80 Prozent» aus. Häufig komme das umstrittene Unkrautmittel Glyphosat zum Einsatz. Die Weltgesundheitsorganisation WHO stuft das Gift als krebserregend ein. Laut Experten schädigt es Kleinstlebewesen und Pflanzen und bedroht so die Artenvielfalt.
Mehrmals pro Jahr Glyphosat-Einsatz
Produzenten verwenden Herbizide, um die Gräser und das Unkraut zu beseitigen, die um die Bäume herum wachsen und ihnen Licht nehmen können. Sie versprühen Glyphosat mehrmals im Jahr auf dem Boden.
Dabei gibt es laut Vision Landwirtschaft Alternativen, die wirtschaftlich sind: Die Produzenten können das Gras um die Bäume maschinell entfernen. Oder sie lassen Schafe zwischen den Bäumen grasen oder beschränken den Pestizideinsatz auf einen schmalen Streifen entlang der Baumreihen. Das reiche.
Coop erarbeitet auf Initiative von Vision Landwirtschaft mit der IG zurzeit ökologische Richtlinien für die Produzenten von Weihnachtsbäumen. Diese sollen 2016 für alle Coop-Lieferanten gelten. Coop-Sprecherin Denise Stadler: «Wir wollen den Pestizideinsatz deutlich reduzieren.» Auch IG-Christbaum-Chef Oberholzer hält den ganzflächigen Chemikalieneinsatz für ein Auslaufmodell: «Die Kunden wünschen eine umweltschonende Produktion.»
Andere Händler ignorieren das Problem weiter. Migros und Landi wissen nicht, ob ihre Lieferanten Pestizide verwenden. Es gibt keine Tests oder Auflagen. Die Migros verkauft pro Jahr nach eigenen Angaben 80 000 Bäume, zwei Drittel davon aus der Schweiz. Die Landi-Läden verkaufen 150 000 Bäume pro Jahr. 35 Prozent stammten aus der Schweiz, 65 Prozent aus Dänemark.
Keine Deklaration der Bäume
Konsumenten wissen selten, wie der Weihnachtsbaum produziert wurde, den sie kaufen. Die Verkäufer müssen nicht deklarieren, woher der Baum stammt.
Wer seine Tanne direkt beim Produzenten kauft, kann einen Blick auf die Anbaufläche werfen: Wächst unter den Tannen kein Gras, kamen Herbizide zum Einsatz.