Erhöhte Blutfettwerte können zu Gefässverengungen führen und das Herzinfarkt- oder Hirnschlagrisiko steigern. Deshalb verschreiben immer mehr Ärzte Medikamente, die das Blutfett reduzieren sollen. Die Zahl der verkauften Cholesterinsenker stieg in der Schweiz in den vergangenen zehn Jahren von 1,4 auf 2,3 Millionen Packungen.
Jetzt hat die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (Herzärzte) neue Richtlinien für die Behandlung von erhöhten Cholesterinwerten veröffentlicht. Sie will sie nun auch bei Gesunden mit geringem Herzinfarktrisiko senken (siehe Kasten), und zwar auf 3 Einheiten (Millimol) pro Liter. Bisher verschrieben Ärzte solchen Personen keine Medikamente. Ein Wert von ungefähr 2,6 Einheiten gilt als normal. In der Vergangenheit übernahmen in der Schweiz die Fachgesellschaften weitgehend die europäischen Empfehlungen.
Kein Nutzen für die Patienten ersichtlich
Fachleute kritisieren die neuen Richtlinien. Die tiefen Zielwerte seien willkürlich. Der Arzt Etzel Gysling, Herausgeber der Fachzeitschrift «Pharma-Kritik», sagt: «Es ist nicht nachgewiesen, dass die strengeren Behandlungsziele für die Patienten einen zusätzlichen Nutzen bringen.» Um Herzkrankheiten zu vermeiden, sei nicht nur das Cholesterin wichtig, sondern auch das Vermeiden von Übergewicht und wie viel man sich bewege. Viele Ärzte würden diesen Faktoren nicht immer ausreichend Beachtung schenken.
Herzspezialist Jochen Schuler ist Mitherausgeber der Fachzeitschrift «Der Arzneimittelbrief». Er ist überzeugt, dass die Ärzte die neuen Behandlungsziele in den meisten Fällen nur mit einer Kombination von zwei bis drei verschiedenen Cholesterinsenkern erreichen. Oft werde eine hohe Statindosis notwendig sein. «Das erhöht die Gefahr für Nebenwirkungen», sagt Schuler.
Hinter der neuen Empfehlung stecken handfeste Interessen
Die Verfasser der neuen Richtlinien empfehlen auch neue Medikamente wie Inegy und Praluent. Schuler wirft ihnen vor, sie seien mit der Pharmaindustrie verbandelt: «19 der 21 Autoren geben Interessenkonflikte an.» 14 hätten Gelder der Hersteller von Praluent erhalten. Die Liste der Interessenkonflikte der Autoren umfasst 66 Seiten. Auch die Europäische Gesellschaft für Kardiologie lässt sich von der Industrie massiv bezahlen: Mehr als drei Viertel ihres Budgets stammen von Medikamentenherstellern – über 54 Millionen Euro. Das steht im aktuellen Jahresbericht.
Die Gesellschaft sagt zur Kritik, das Risiko für Herzkrankheiten sei umso tiefer, je stärker man das Cholesterin senke. Neue Medikamente könnten den Wert um bis zu 85 Prozent senken. Auch hohe Statindosen seien laut Studien sicher. Schwere Nebenwirkungen seien selten. Die Gelder der Pharmaindustrie seien kein Problem. Sie seien an keine Bedingungen geknüpft.
Cholesterin ist nur ein kleines Risiko
Ein erhöhter Cholesterinwert schadet dem Herzen kaum, solange nicht andere Risikofaktoren dazukommen.
Andere Risikofaktoren fürs Herz sind Rauchen, hoher Blutdruck, zu wenig Bewegung, Übergewicht, Diabetes oder familiäre Belastung.
Menschen, die zwar erhöhte Cholesterinwerte haben, aber keinen anderen Risikofaktor, benötigen in der Regel keinen Cholesterinsenker.
Menschen mit einem hohen Risiko für Herzkrankheiten benötigen Cholesterinsenker. Dazu gehören Raucher, Diabetiker oder auch Leute, die bereits eine Herzkrankheit erlitten.
Das Risiko fürs Herz können Sie selber senken: Vermeiden Sie Übergewicht. Treiben Sie Sport. Machen Sie einen Rauchstopp.
Fachkontrolle: Dr. med. Thomas Walser