Kürzlich erschien der «Tages-Anzeiger» mit einer Beilage über Cannabis. Darin warb Reto Agosti für Cannabis gegen Migräne. Agosti ist Leiter des Kopfwehzentrums Hirslanden in Zürich. Der Inhaltsstoff Cannabidiol schütze «besonders gut» vor Migräneanfällen. Extrakte mit Cannabidiol sind frei erhältlich und erzeugen keinen Rauschzustand. Am Kopfwehzentrum würden «zahlreiche Patienten» gegen Migräne Cannabidiol einnehmen. Die positive Wirkung von Cannabis bei Migränepatienten könne man «in alten Pharmabüchern» nachlesen.
Keine Studien, die bei Cannabis eine Wirksamkeit belegen
Andere Experten sind skeptisch. Gemäss dem Arzt Etzel Gysling, Herausgeber der unabhängigen Fachzeitschrift «Pharma-Kritik», gibt es keine verlässlichen Studien, die zeigen, dass Cannabidiol Migräneattacken verhindern kann. Der deutsche Arzt und Apotheker Wolfgang Becker-Brüser kam vor zwei Jahren im deutschen Fachblatt «Arznei-Telegramm» zum Schluss, dass der Nutzen von Cannabisprodukten «unzureichend belegt» sei.
Agosti verschreibt bei Migräneattacken laut «Tages-Anzeiger» auch Cannabispräparate mit Tetrahydrocannabinol (THC). Dieser Stoff löst einen Rausch aus und ist bewilligungspflichtig. Auch die Wirkung von THC ist bei Migräne nicht belegt. Das zeigt eine neue Übersichtsstudie von kanadischen Forschern. Darin heisst es, es sei nicht geklärt, wie sich Cannabis auf das Gehirn auswirke. Die Studie erschien Anfang Jahr im Fachblatt «CNS Drugs». Das Fachblatt «The Lancet Psychiatry» veröffentlichte kürzlich eine Studie mit 2000 Patienten. Sie wies nach, dass die Einnahme von THC-Cannabis das Risiko erhöht, an einer Psychose zu erkranken. Fachleute beweifeln jedoch, dass Cannabis allein die Psychosen verursacht.
Manche Ärzte setzen auch Epilepsiemittel ein
Das Interesse an Cannabis gegen Migräne ist verständlich. Um Migräneattacken zu verhindern, verschreiben Ärzte oft Medikamente mit starken Nebenwirkungen, zum Beispiel Saroten oder Efexor, die eigentlich gegen Depressionen eingesetzt werden. Die beiden Pillen können Patienten müde machen oder zu Übergewicht führen.
Ärzte setzen gegen Migräne auch Epilepsiemedikamente ein, zum Beispiel Convulex oder Depakine. Dadurch riskiert man aber Gedächtnisstörungen oder Depressionen. Seit dem vergangenen Jahr gibt es zudem eine Spritze gegen Migräne: Aimovig. Es gibt jedoch keine Daten, ob das Mittel langfristig sicher ist (saldo 14/2018).
Patienten nehmen gegen leichte Migräneattacken oft Schmerzmittel wie Paracetamol oder Aspirin. Diese können die Leber oder den Magen belasten. Deshalb sollte man sie nur «so kurz wie möglich» nehmen, sagt der Zürcher Hausarzt Thomas Walser. Spezielle Migränemedikamente gegen schwere Attacken wie Immigran, Menamig oder Zomig verengen die Blutgefässe und unterdrücken die Schmerzen. Sie können aber Schwindel und Herzklopfen auslösen und den Blutdruck kurzzeitig erhöhen.
Neben Cannabis sind auch andere Pflanzenextrakte umstritten. Eine Studie aus den USA mit 245 Migränepatienten zeigte schon vor über zehn Jahren, dass der Pestwurzextrakt die Zahl der Migräneattacken um die Hälfte reduziert. Allerdings ist der getestete Extrakt Petadolex in der Schweiz seit 2004 nicht mehr zugelassen. In Deutschland erlitten Patienten Leberschäden.
Agosti will mit verzweifelten Patienten «neue Wege» gehen
Unproblematischer ist die Mutterkrautpflanze. Die Wirkung gegen Migräne ist gemäss dem Winterthurer Heilpflanzenexperten Martin Koradi ebenfalls belegt. Nebenwirkungen sind selten. Apotheken verkaufen den Extrakt in Urtinkturen oder getrocknete Blätter als Tee. Koradi: «Man kann die Pflanze auch im eigenen Garten ziehen und täglich eine Tasse Tee aus den Blättern trinken.» Pro Tasse brauche man zweieinhalb frische Blätter Mutterkraut.
Agosti schreibt saldo, er habe es mit vielen verzweifelten Patienten zu tun, bei denen andere Mittel nichts nützten. Da müsse man als Arzt «auch neue Wege einschlagen» – zum Beispiel, indem man auch Medikamente anwende, «von denen Experten sagen, dass sie nicht wirken». Selbstverständlich sei er bereit, an wissenschaftlichen Studien teilzunehmen.
Axapharm schreibt, Convulex sei nicht zugelassen, um Migräne zu verhindern. Novartis schreibt, klinische Studien hätten bewiesen, dass Aimovig wirke. Eine Studie über drei Jahre, die man bald veröffentlichen werde, werde zeigen, dass die Spritze langfristig sicher sei.
Alternativen zu Medikamenten
- Versuchen Sie herauszufinden, was die Migräne auslöst. Führen Sie ein Kopfschmerztagebuch.
- Schlafen und essen Sie regelmässig.
- Verzichten Sie auf Kaffee, Alkohol und Nikotin.
- Gehen Sie regelmässig joggen.
- Akupunktur kann helfen.
- Lernen Sie Entspannungstechniken, zum Beispiel autogenes Training.