Callcenter: Endlose automatisierte Anrufe ärgern die Konsumenten
Immer häufiger klingelt in Schweizer Wohnzimmern das Telefon – ohne dass sich jemand meldet. Die Ursache: Einige Schweizer Callcenter arbeiten mit Wählcomputern.
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saldo 17/2009
19.10.2009
Letzte Aktualisierung:
15.04.2014
Mirjam Fonti
Das Telefon klingelt, doch wenn man den Hörer abhebt, herrscht am anderen Ende Stille. Oder es ertönt das Besetztzeichen. Solche Geisteranrufe beunruhigen viele – vor allem, weil sich der Vorgang oft mehrmals täglich wiederholt. «Will mich hier jemand ausspionieren?», fragen Betroffene in Internetforen. Denn die Anrufe bleiben rätselhaft, weil die Nummern meistens in keinem Verzeichnis eingetragen sind.
Die Erklärung: Hinter den Anrufe...
Das Telefon klingelt, doch wenn man den Hörer abhebt, herrscht am anderen Ende Stille. Oder es ertönt das Besetztzeichen. Solche Geisteranrufe beunruhigen viele – vor allem, weil sich der Vorgang oft mehrmals täglich wiederholt. «Will mich hier jemand ausspionieren?», fragen Betroffene in Internetforen. Denn die Anrufe bleiben rätselhaft, weil die Nummern meistens in keinem Verzeichnis eingetragen sind.
Die Erklärung: Hinter den Anrufen ins Leere stecken keine Einbrecher, sondern Callcenter. Der Computer eines Callcenters wählt mehrere Telefonnummern gleichzeitig. Sobald der erste Angerufene den Hörer abhebt, werden die anderen Anrufe abgebrochen. Für die Betroffenen sind solche Leeranrufe äusserst lästig: «Seit zwei Wochen klingelt die Nummer 071 555 0844 bei mir vier- bis fünfmal am Tag», klagt saldo-Leser D. H. (Name der Redaktion bekannt). Das perfide, so D. H.: «Es hat jeweils nur zweimal geklingelt, doch als ich ranging, war niemand dran.»
«Manche Leute werden bis zu 30 Mal angewählt»
Die erwähnte Nummer gehört der Callworld Telemarketing AG in St. Gallen. Sie ist eine der Telefonmarketingfirmen in der Schweiz, die solche Computerprogramme einsetzt. Callworld-Geschäftsführer Jürg Hüppi versteht den Ärger nicht: «Wir unternehmen viel, um die Leeranrufe zu verringern. Die neuen Programme reduzieren die Anzahl Anrufe, die wir nicht innert 2,5 Sekunden entgegennehmen können, auf wenige Promille.»
Nach dieser Theorie dürften also nur einige wenige von tausend Angerufenen belästigt werden. In der Praxis sind es jedoch viel mehr. Dies bestätigt ein ehemaliger Mitarbeiter eines Callcenters in einem Internetforum: «Es ist für uns Agenten sehr unangenehm. Die Anrufe können Wochen dauern, wenn nicht sogar Monate. Wir können nicht verhindern, dass manche Leute bis zu 30 Mal angewählt werden, weil der Computer die Anrufe von selbst tätigt.»
Ein Ende nimmt die Sache erst, wenn eine Verbindung zustande kommt. Die Agenten der Callcenter versuchen dann, die erreichten Personen zu einem Kauf zu überreden – etwa zu Zeitschriftenabonnements, neuen Telefonabos, Versicherungsverträgen oder Weinen. Callworld ist nicht die einzige Firma, die mit computergesteuerten Wählautomaten arbeitet. Unter anderen setzen auch Libertycall in Wallisellen ZH, Datatell in Uster ZH und Phonemarketing in Lausanne die Programme ein. Liberty-call-Sprecherin Sonia Egger glaubt freilich nicht, dass sich die Angerufenen belästigt fühlen: «Sie werden auf lukrative Angebote aufmerksam gemacht.»
Datatell und Phonemarketing haben die Fragen von saldo zum Einsatz von Wählprogrammen nicht bestätigt. Doch Phonemarketing hat in einer Medienmitteilung angekündigt, dass 180 Plätze mit solcher Software ausgerüstet wurden. Und bei Datatell findet sich der Hinweis auf einen solchen Automaten auf der Homepage. Die Antwort auf die saldo-Anfrage schuldig geblieben sind auch die Firmen Callpoint, Medialine und To You AG.
Belästigung: Deutschland hat einige Nummern abgeschaltet
Dass es auch ohne solche selbstwählenden Programme geht, belegen andere Callcenter. «Wir haben diese Technologie nicht im Haus», sagt etwa Hans Jürgen Dregger, Geschäftsführer der Telag in Zürich. Auch Alexandra Bechter von RBC Solutions in Meilen ZH äussert Vorbehalte: «Wir wollen nicht unnötig Konsumenten verärgern. Und wir sind überzeugt, dass dieses Wählverfahren für die Motivation und Leistung unserer Mitarbeiter negativ ist.» Die Firma Profi Office in Wohlen AG setzt ebenfalls keine solchen Programme ein.
Skeptisch äussert sich auch das Bundesamt für Kommunikation (Bakom): «Wir betrachten Anrufe ins Leere als Spam», sagt Sprecherin Caroline Sauser. Und der Versand von Spam ist in der Schweiz verboten. Handeln will das Bakom trotzdem nicht: «Dies liegt nicht in unserem Kompetenzbereich.» Anders sieht es in Deutschland aus. Die Bundesnetzagentur – vergleichbar mit dem Bakom in der Schweiz – hat im September die Rufnummern von sieben Callcentern abschalten lassen. «Die Vielzahl der Anrufe bedeutet eine unzumutbare Belästigung und einen massiven Eingriff in die Privatsphäre der Betroffenen», erklärt Matthias Kurth, Präsident der Bundesnetzagentur.
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