Ein grosser Teil der Schweizer hat praktisch kein Vermögen – ausser in der Pensionskasse. Deshalb besteht seit 1995 die Möglichkeit, Geld aus dem in der 2. Säule gesparten Vermögen schon vor der Pensionierung zu beziehen – für den Kauf von selbst bewohntem Wohneigentum. Letztes Jahr taten dies 24 500 Pensionskassenversicherte. 2010 wurde so für 33 243 der Traum von den eigenen vier Wänden Wirklichkeit.
Geht es nach dem Willen des Bundesrates, ist mit diesem Vorbezug bald Schluss. Begründung: Angeblich würden immer mehr Leute ihre Pensionskassengelder vorzeitig beziehen. Damit steige das Risiko, dass sie im Alter auf Ergänzungsleistungen angewiesen seien. Bundesrat Alain Berset: «Wir handeln, weil die Ergänzungsleistungen massiv steigen, es zu Fällen von unverantwortlichem Umgang mit Vorsorgegeldern gekommen ist und weil dies Parlamentarier und Kantone fordern.»
Diese bundesrätliche Begründung ist mit Zahlen nicht zu belegen. Ein Blick in die AHV-Statistik zeigt: Der Anteil der Personen mit einer Altersrente, die auf eine Ergänzungsleistung angewiesen sind, hat sich in den letzten zehn Jahren nur minim verändert. Im Jahr 2013 waren es 12,2 Prozent aller AHV-Rentner, zehn Jahre vorher 11,6 Prozent. Im Jahr 2013 stiegen die Ausgaben für Ergänzungsleistungen um 2,1 Prozent. Laut Bundesamt für Sozialversicherungen ist das eine der tiefsten Wachstumsraten seit über dreissig Jahren.
Kommt hinzu: Weder der Bundesrat noch das zuständige Bundesamt für Sozialversicherungen wissen, ob Leute, die Pensionskassengeld in Wohneigentum investiert haben, später auf Ergänzungsleistungen angewiesen sind. Laut Mario Christoffel, Leiter des Bereichs Leistungen der AHV, werden diese Zahlen bis Ende dieses Jahres zum ersten Mal erhoben.
Der unverantwortliche Umgang mit PK-Geld ist nicht belegt
Andreas Dummermuth, Geschäftsleiter der Ausgleichskasse des Kantons Schwyz, jammert zwar über den unverantwortlichen Umgang mit Vorsorgegeldern: «Im Jahr 2012 erhielten wir 622 Anmeldungen für Ergänzungsleistungen – in 141 Fällen war eine Kapitalauszahlung der 2. Säule vorgenommen worden.» Das entspreche 22,6 Prozent der Fälle. Letztes Jahr seien es 139 Fälle gewesen.
Doch aufgepasst: In diesen Zahlen sind nicht nur jene Personen enthalten, die für Wohneigentum Pensionskassengeld vorbezogen, sondern auch jene, die sich bei der Pensionierung für den Kapitalbezug entschieden.
Dummermuth gibt zu, dass es zu dieser Differenzierung keine Zahlen gebe. Das heisst: Auch er weiss nicht, ob es Bezüger von Ergänzungsleistungen gibt, die mit dem Pensionskassengeld Wohneigentum gekauft hatten.
Einen Beleg für einen unverantwortlichen Umgang mit vorbezogenen Pensionskassengeldern für den Erwerb von Wohneigentum hat auch das Bundesamt für Sozialversicherungen nicht. Christoffel will denn auch lediglich auf die möglichen Risiken aufmerksam machen: «Je mehr Kapital eine Person bezieht, desto tiefer wird die Rente», warnt er. Bei einem Zinsanstieg sei das Risiko erhöht, dass eine solche Person die Kosten nicht mehr tragen könne und Ergänzungsleistungen beantrage.
Doch auch diese Rechnung geht nicht auf. Es stimmt zwar, dass die Pensionskassenrente nach einem Vorbezug von Pensionskassengeldern tiefer ist. Was der Chefbeamte aber übersieht: Mit diesem Geld kaufen die Bezüger eine Wohnung oder ein Haus, deshalb sinken im Alter die Wohnkosten erheblich.
Zudem: Gerät ein Rentner mit Wohneigentum in eine finanzielle Notlage, könnte er immer noch seine Wohnung oder sein Haus verkaufen.
Pensionskassenverband winkt ebenfalls ab
Deshalb ist der Vorschlag des Bundesrates auch für den Pensionskassenverband ASIP nicht nachvollziehbar: «Es gibt bis heute keinen erhärteten, wissenschaftlich untermauerten Zusammenhang zwischen Kapitalbezug und nachfolgendem Bezug von Ergänzungsleistungen», hält Direktor Hanspeter Konrad fest. Kurz: Bundesrat Alain Berset macht viel Lärm um nichts.
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