Immer mehr Branchen und Unternehmen setzen zur Durchsetzung ihrer Interessen in der Berner Machtzentrale auf Lobbyisten. Das zeigt das Mitgliederverzeichnis der Schweizerischen Public-Affairs-Gesellschaft. Aktuell gehören ihr 216 Mitglieder an. Dabei handelt es sich um Vertreter von Branchenverbänden, Unternehmen und PR-Agenturen.
Die Polit-Lobbyisten haben keinen guten Ruf. Ihre Auftraggeber und ihre Ziele bleiben oft im Dunkeln. Die Public-Affairs-Gesellschaft will das ändern und transparenter werden: Wer ihr angehören will, muss auf der Verbands-Website alle Auftraggeber auflisten, mit denen ein über halbjähriges Auftragsverhältnis besteht. Bis 1. Juli hatten die Mitglieder dafür Zeit.
Noch heute fehlen bei 49 Mitgliedern die Angaben. Unter den Nachlässigen befinden sich vor allem Vertreter von PR-Agenturen. Sie lobbyieren in der Regel für eine Vielzahl von Unternehmen oder Organisationen, sodass ihre Auftraggeber für Aussenstehende besonders intransparent sind. Auf Anfrage begründen sie die fehlenden Einträge unterschiedlich: Er habe es «schlichtweg vergessen», sagt etwa Stefan Batzli von der CR Kommunikation AG. Andere führen «Arbeitsüberlastung» an oder behaupten, gar keine Mandate zu haben. Alexander Segert von der Agentur Goal AG, die unter anderem für die SVP arbeitet, argumentiert mit der Privatsphäre, die er auch im Geschäftsleben stark gewichte: «Deshalb werde ich meine Interessensverbindungen nicht offenlegen – einen Ausschluss aus dem Verband nehme ich dafür in Kauf.» Doch so weit ist es noch nicht. Der Verband hat die Meldefrist bis zum Dezember verlängert.
Für die Post sind zwölf Lobbyisten in Bern aktiv
Aufschlussreich ist die Analyse der bereits aufgelisteten Interessenvertreter: Am aktivsten ist die Energiebranche mit 24 Lobbyisten. Darunter fallen Delegierte der Schweizerischen Gasindustrie, von Swisselectric und Swisspower sowie der Stromkonzerne Alpiq, Axpo und BKW.
An zweiter Stelle liegt die Pharmabranche mit 20 Vertretern. Nebst den Verbänden Interpharma und Scienceindustries machen sich in Bern auch die hauseigenen Lobbyisten von Novartis, Roche, Galenica und Sanofi-Aventis sowie diverse Agenturen für die Pharmaindustrie stark.
Auf den nächsten Plätzen folgen Banken und Versicherungen mit insgesamt 18 Vertretern – und die Post mit 12 Lobbyisten. Sie operiert im Bundeshaus gemäss der Website mit 6 Angestellten sowie Profis von sechs PR-Agenturen.
Längst nicht alle PR-Profis, die im Bundeshaus weibeln, sind Mitglied bei der Gesellschaft. Das zeigt die Bundeshaus-Gästeliste. Jeder der 246 National- und Ständeräte kann zwei ständige Zutrittsausweise verteilen. Sie ermöglichen den Zugang zur Wandelhalle. Jeden Monat publizieren die Parlamentsdienste eine Liste mit den Zutrittsberechtigten. Gemäss der Septemberliste haben die Parlamentarier 413 Badges vergeben, 63 davon an Mitglieder der Public-Affairs-Gesellschaft.
Zieht man die Gäste und persönlichen Mitarbeiter ab, verbleiben 247 Personen. Bei diesen handelt es sich um Interessenvertreter. Das heisst: Zählt man zur Mitgliederliste der Public-Affairs-Gesellschaft diese 247 Badge-Inhaber hinzu, tummeln sich in Bern mindestens 463 Lobbyisten.
«Die Parlamentarier müsste man auch zu den Lobbyisten zählen»
Reto Wiesli, Interimspräsident der Public-Affairs-Gesellschaft, kommt auf eine ähnliche Zahl: «Es gibt wohl zirka 500 Lobbyisten, die sich von Zeit zu Zeit in Bern aufhalten.» Den harten Kern, der wirklich während jeder Session lobbyiert, schätzt Daniel Rohr von der gleichnamigen Berner PR-Agentur auf etwa 40 Leute. Die beiden PR-Profis sind der Meinung, dass man die 246 «sogenannten Miliz-Parlamentarier» auch zu den Lobbyisten zählen müsse. Laut Rohr leben heute rund 60 Prozent der Parlamentarier von ihrem Amt sowie den Mandaten, die ihnen der Sitz im Bundeshaus eingebracht hat.
Lobby-arbeit: «Es geht darum, Mehrheiten zu schaffen»
PR-Profi Daniel Rohr ist seit 23 Jahren als Lobbyist tätig. Er sagt: «Ziel des Lobbyings sind messbare Resultate: die Modifikation, Ablehnung oder Lancierung eines Gesetzes oder Artikels. Es geht immer darum, Mehrheiten zu schaffen.»
Und wie bringen Lobbyisten Politiker dazu, die gewünschten Positionen zu vertreten? Für Martin Schläpfer, Leiter Wirtschaftspolitik bei der Migros, ist es zentral, dass sich ein Lobbyist während des ganzen Gesetzgebungsprozesses einbringt – von der Expertenkommission über die Vernehmlassung bis hin zu den parlamentarischen Kommissionen und der Abstimmung in den Räten. Von Vorteil sei es, wenn man über eine Zutrittsberechtigung zur Wandelhalle verfüge. Schläpfer: «Einen bevorstehenden Entscheid kann man da zwar nicht mehr ändern, aber der Zugang ist wichtig für die Kontaktpflege.»