Man könnte meinen, die Schweiz stünde finanziell am Abgrund. Bundesrätin Karin Keller-Sutter hob Mitte Februar einmal mehr den Mahnfinger: «Man darf auf Dauer nicht mehr ausgeben, als man einnimmt», sagte die Finanzministerin an einer Medienkonferenz zu den Bundesfinanzen. Und sie gab neue Ausgabenkürzungen bekannt – unter anderem in den Bereichen Umwelt, Landwirtschaft und Entwicklungszusammenarbeit.
Insgesamt will der Bund nächstes Jahr über 2 Milliarden Franken weniger ausgeben. Keller-Sutter kündigte zudem an, mittelfristig sämtliche Aufgaben und Subventionen des Bundes «grundlegend» überprüfen zu lassen.
Das Ja der Stimmberechtigten zur 13. AHV-Rente von Anfang März liess die Gegner noch lauter werden. Jetzt werde das «Finanzloch» im Bundeshaushalt noch grösser, wetterte etwa die SVP und forderte umgehend Einsparungen bei der Entwicklungshilfe und im Asylwesen.
Bereits im Januar hatte Keller-Sutter quasi den Teufel an die Wand gemalt. Ein Land, das sich immer mehr verschulde, rutsche früher oder später in eine Wirtschafts- und Finanzkrise, sagte sie in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag». Mögliche Folgen seien «Wohlstandsverlust und damit einhergehend politische Instabilität und soziale Unruhen». Doch wie schlecht steht es wirklich um die Finanzen? saldo sah sich die Eidgenössischen Staatsrechnungen von 2003 bis 2022 genauer an. Sie zeigen:
- Im Jahr 2022 nahm der Bund knapp 77 Milliarden Franken ein. Das sind 63 Prozent mehr als 20 Jahre zuvor.
- Von 2003 bis 2022 flossen insgesamt 1307 Milliarden Franken in die Bundeskasse, bei Ausgaben von total 1305,3 Milliarden Franken. Es resultiert also ein Überschuss von 1,7 Milliarden. Ohne die durch die Coronapolitik verursachten Ausgaben von 32,8 Milliarden Franken von 2020 bis 2022 hätte der Bund in diesen Jahren gar 34,5 Milliarden Franken mehr eingenommen als ausgegeben.
- Seit 2003 schlossen 13 der 20 Staatsrechnungen mit Gewinn. 10 Mal lagen die Einnahmen um mehr als 2 Milliarden Franken über den Ausgaben.
- Die Einnahmen aus den direkten Bundessteuern waren 2022 mit 26,3 Milliarden Franken mehr als doppelt so hoch wie 2003. Auch beim zweitgrössten Einnahmenposten, der Mehrwertsteuer, war der Zuwachs mit rund 45 Prozent beträchtlich. In diese Kasse zahlten die Schweizer im Jahr 2022 insgesamt 24,7 Milliarden Franken.
- Die Unternehmen bezahlten nur in 3 der 20 Jahre mehr direkte Bundessteuern als Privatpersonen. Der grössere Teil des Geldsegens für den Bund stammt also aus den Taschen der Privathaushalte.
- Interessantes Detail: Auch aus seinen Beteiligungen an Swisscom und Post nahm der Bund eine schöne Stange Geld ein. Allein 2022 waren es 630 Millionen Franken – 120 Millionen mehr als 2003. In den betrachteten 20 Jahren summierten sich die Gesamteinnahmen aus Dividenden und Gewinnablieferungen auf rund 14 Milliarden. Die Zeche bezahlten auch hier die Konsumenten – etwa über höhere Abo-, Paket- und Briefpostpreise und schlechteren Service wegen weggesparter Poststellen.
«Die Schweizer Staatsfinanzen sind kerngesund»
Fazit: Seit 2003 stiegen die Einnahmen fast immer. Was von den Politkern als Sparen bezeichnet wurde, war in Wirklichkeit ein Gerangel um die Mehreinnahmen. Die Armee mischte erfolgreich mit: 5,3 Milliarden Franken kostete sie 2022 die Steuerzahler – 21 Prozent mehr als 2003. Nach dem Willen des Parlaments sollen sich die Militärausgaben bis 2035 auf 10,7 Milliarden verdoppeln.
Der Blick zurück zeigt ausserdem, dass Artikel 126 der Bundesverfassung – die sogenannte Schuldenbremse – seit Inkrafttreten im Jahr 2003 meist eingehalten wurde. Dieses Instrument verbietet es dem Bund im Grundsatz, mehr auszugeben, als er einnimmt. Die Schuldenquote der Schweiz ist sehr tief. Sie betrug Ende 2022 rund 27 Prozent des Bruttoinlandprodukts. In Deutschland zum Beispiel lag sie bei über 66, in Österreich bei über 78 und in Frankreich bei fast 112 Prozent. Marius Brülhart, Professor für Volkswirtschaft an der Universität Lausanne, brachte es unlängst auf den Punkt: «Die Schweizer Staatsfinanzen sind kerngesund.»
Das will selbst Karin Keller-Sutters Departement nicht wirklich bestreiten. «Die Lage der Bundesfinanzen war in den Jahren vor der Corona-Pandemie tatsächlich häufig erfreulich», schreibt es saldo. Doch das Pendel schwinge jetzt in die andere Richtung. Das Problem liege nicht auf der Einnahmen-, sondern auf der Ausgabenseite. Aufgabengebiete wie die soziale Wohlfahrt, die Sicherheit und die Migration würden in den nächsten Jahren «stark wachsen». Es sei mit strukturellen Defiziten «von bis zu 4 Milliarden Franken» zu rechnen.
Aus der Mitte-Partei kommt bereits die Forderung, über ein befristetes zusätzliches Mehrwertsteuerprozent etwa 20 Milliarden Franken für die Armee in die Kasse zu spülen. Es droht ein weiterer Griff in die Taschen der Konsumenten.
Zu pessimistische Prognosen
Der Bund ist ein schlechter Finanzprophet. Für 14 der 20 Jahre ab 2003 stellte er im Vorjahr jeweils eine zu pessimistische Prognose. Das heisst: 14 Mal schloss die Eidgenössische Staatsrechnung besser ab als budgetiert, davon 10 Mal um mehr als 2 Milliarden Franken.
Auch mit seinen Finanzplänen über zwei und drei Jahre lag der Bund mehrheitlich um einige Milliarden daneben. Für 2019 zum Beispiel sah er drei Jahre vorher ein Defizit von 2 Milliarden Franken und zwei Jahre vorher ein ausgeglichenes Rechnungsergebnis vor. Die Staatsrechnung 2019 schloss jedoch mit einem Überschuss von 3,6 Milliarden Franken.