Die Luzerner CVP hat im vergangenen Oktober die Pflege- und Betreuungsinitiative lanciert: «Wer freiwillig und unentgeltlich hilfsbedürftige Personen pflegt und betreut», soll jährlich in der Steuererklärung 5000 Franken vom steuerbaren Einkommen abziehen können. Denn betreuende und pflegende Angehörige sind in der Schweiz grösstenteils auf sich allein gestellt.
Das weiss auch der Bundesrat. Im Auftrag des Parlaments erstellte er vor vier Jahren einen Bericht. Darin kommt er zum Schluss, dass Angehörige vielfach überfordert seien und an Erschöpfung leiden: «Sind sie gleichzeitig noch erwerbstätig, können die beiden Aufgaben die eigene Laufbahn und die materielle Existenz gefährden.»
Laut dem Bericht wurden im Jahr 2012 rund 240 000 Personen über 65 von 330 000 Angehörigen betreut und gepflegt. Aktuellere Zahlen gibt es nicht. Die Freiwilligenarbeit sei eine «besonders bedeutsame Ressource für die Wohlfahrt», schreibt der Bundesrat.
Freiwilligenarbeit im Wert von 3,5 Milliarden Franken
Der Spitex-Verband hat errechnet, dass die Angehörigen jährlich 64 Millionen Stunden Betreuung leisten. Das entlastet das Gesundheitswesen um 3,5 Milliarden Franken.
Doch wer entlastet die pflegenden Angehörigen? Sollte die CVP-Initiative angenommen werden, wäre Luzern der erste Kanton, der ihnen für ihre Arbeit einen Steuerabzug gewährt. Der Urner Regierungsrat lehnte Anfang Februar einen gleichlautenden Vorstoss der CVP ab. Die Abzüge würden «zur Aushöhlung des Steuersubstrats» führen.
Im vergangenen Sommer präsentierte der Bundesrat das «Bundesgesetz über die Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenpflege». Er schlägt drei Massnahmen vor:
Eine gesetzlich verankerte Lohnfortzahlungspflicht für einen Kurzurlaub von maximal drei Tagen. Das soll Erwerbstätigen erlauben, kurzzeitig Betreuungsaufgaben zu übernehmen.
Einen Betreuungsurlaub von höchstens 14 Wochen für Eltern, die ein gesundheitlich schwer beeinträchtigtes Kind betreuen.
Mehr Personen sollen Anspruch auf AHV-Betreuungsgutschriften haben. Pflegende Angehörige sollen nicht nur wie heute bei mittlerer oder schwerer Hilflosigkeit der betreuten Person solche Gutschriften erhalten, sondern auch schon bei leichter Hilflosigkeit.
Fast 3 Milliarden Überschuss – aber Bund will nichts zahlen
Bis Mitte November konnten Verbände und Parteien zum bundesrätlichen Vorschlag Stellung beziehen. Die Rückmeldungen der Alters- und Behindertenorganisationen, der Kantone und Mitte- und Linksparteien sind eindeutig. «Aus unserer Sicht werden Angehörige, die sich um ältere Menschen kümmern, nicht angemessen berücksichtigt», schreibt Pro Senectute. In der Kritik steht vor allem die Beschränkung des Betreuungsurlaubs auf Eltern minderjähriger Kinder. Das sei nicht nachvollziehbar, bemängeln unter anderem die kantonalen Sozial- und Gesundheitsdirektoren, das Schweizerische Rote Kreuz, Alzheimer Schweiz und die Behindertenorganisation Procap. Unzufrieden sind viele auch mit der Länge des Kurzurlaubs: Unter anderem fordern die Grünen und die SP fünf statt drei Tage, die Ärztevereinigung FMH gar zwölf Tage. Als «realitätsfremd» wird kritisiert, dass nur Angehörige Anspruch auf AHV-Betreuungsgutschriften haben sollen, die weniger als 30 Kilometer von der betreuten Person entfernt wohnen.
Trotz des gewaltigen Überschusses der Bundeskasse von 2,9 Milliarden Franken im letzten Jahr will sich der Bund an den geschätzten Kosten von rund 230 Millionen Franken nicht beteiligen. Laut Bundesrat solle die AHV 1 Million Franken Mehrausgaben durch AHV-Gutschriften zahlen. Die 90 bis 150 Millionen Franken für kurzzeitige Arbeitsabwesenheiten sollen zulasten der Arbeitgeber gehen. Und die bis zu 77 Millionen Franken für den Betreuungsurlaub durch die Erwerbsersatzversicherung gedeckt werden.
Der SVP, dem Arbeitgeber- und Gewerbeverband gehen selbst diese Minimallösungen zu weit. Sie lehnen die Vorlage ab.
Finanzielle Hilfe für Rentner
Betreuung und Pflege sind nicht dasselbe. Betreuung heisst zum Beispiel Hilfe bei der Körperhygiene, im Haushalt oder beim Einkauf. Diese Leistungen sind durch die Krankenkasse und die Krankenpflege-Leistungsverordnung nicht gedeckt. Immerhin: AHV-Renter haben Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung, wenn sie für alltägliche Lebensverrichtungen dauernd auf Hilfe Dritter angewiesen sind. Und zwar unabhängig von Einkommen und Vermögen. Der Antrag muss ärztlich beglaubigt und bei der kantonalen IV-Stelle eingereicht werden. Das Anmeldeformular gibts unter Saldo.ch/hilflos