Carlo Zumsteg (Name geändert) wohnt seit mehreren Jahren in der Nähe von Winterthur. Kürzlich konnte er das kleine Einfamilienhaus kaufen, das er vorher gemietet hatte. «Das war nur möglich, weil mir eine Privatperson ein Darlehen gab», sagt Zumsteg zu saldo.
Der 61-jährige Zürcher verdient brutto 85 000 Franken pro Jahr. Trotzdem gaben ihm die Banken keine Hypothek. Begründung: Er könne sich das Haus nicht leisten. Dabei fährt er als Besitzer des Hauses Monat für Monat rund 700 Franken günstiger als vorher als Mieter. Auch ohne Privatdarlehen wäre das Wohnen im Eigenheim für ihn günstiger: Bei einer marktüblichen Hypothek einer Bank würde er jeden Monat gegenüber früher noch rund 300 Franken sparen.
Beschränkter Kapitalbezug aus der Pensionskasse
Wie Zumsteg geht es vielen anderen Interessenten, welche die strengen Kriterien der Banken für eine Hypothek nicht erfüllen. Die Banken verlangen 20 Prozent Eigenkapital. Das wäre für viele kein Problem, weil sie so viel Geld in der Pensionskasse angespart haben und von dort beziehen könnten. Nur: Sie scheitern an einer Regelung, welche die Banken auf Druck der Finanzmarktaufsicht Finma am 1. Juli 2012 in Kraft treten liessen. Seither darf nur noch die Hälfte der 20 Prozent Eigenkapital aus der Pensionskasse entnommen werden. Ein Beispiel: Wer ein 5-Zimmer-Einfamilienhaus im Zürcher Weinland für 862 000 Franken kaufen will, muss 172 400 Franken beisteuern. Davon darf seit der Neuregelung höchstens die Hälfte – also 86 200 Franken – aus der Pensionskasse stammen.
Viel zu hohe Zinsannahmen bei Tragbarkeitsberechnung
Viele Kaufwillige scheitern auch an der Tragbarkeitsrechnung. Sie enthält die Ausgaben für Hypothekarzinsen, Amortisation und Unterhalt: Diese dürfen nicht mehr als einen Drittel des Einkommens verschlingen. Bei der Zürcher Kantonalbank etwa gilt eine Limite von 35 Prozent des Nettolohns, um eine Hypothek zu erhalten. Die Credit Suisse rechnet mit 33 Prozent des Bruttolohns.
Bei der Abklärung, ob ein Kunde «hypothekarwürdig» ist, kalkulieren die Banken nicht mit den realen Kosten der Hypotheken, sondern mit viel höheren Zinssätzen. Dazu ein Beispiel: Eine 5-Zimmer-Eigentumswohnung im mittleren Preissegment im Linthgebiet kostet laut dem Immobilien-Monitoring der Firma Wüest Partner 931 000 Franken. Nach der Tragbarkeitsrechnung der Banken muss eine Familie mit genügend Eigenkapital brutto 161 500 Franken pro Jahr verdienen, um von der Credit Suisse eine Hypothek zu erhalten. Denn die Bank rechnet mit einem monatlichen Betrag von 4569 Franken für Zinsen, Amortisation und Nebenkosten. Die Credit Suisse geht von einem Zinssatz von 5 Prozent aus, obwohl dieser für zehnjährige Festhypotheken aktuell bei 2,53 Prozent liegt. Die tatsächlichen Kosten fürs Wohnen betragen pro Monat also nur 3063 Franken. Dafür würde auch ein Bruttolohn von 111 500 Franken pro Jahr reichen.
Wie die CS rechnet auch die Zürcher Kantonalbank mit einem Hypothekarzinssatz von 5 Prozent. Die Migros-Bank sowie die Kantonalbanken von Luzern und Graubünden setzen ihn bei 4,5 Prozent an – obwohl die Hypozinsen seit Mitte der 1990er-Jahre nie mehr so hoch waren.
Aufgrund der hohen Hürden beim Erwerb von Wohneigentum wird vielen Familien eine wichtige Sparmöglichkeit verwehrt. Die Raiffeisenbank stellte kürzlich in einer Analyse fest: «Wer von einer Mietwohnung in ein vergleichbares Eigenheim zieht, kann über 25 Prozent der Wohnkosten sparen.» Gemäss Zahlen des Bundesamts für Statistik ist das Sparpotenzial für Wohneigentümer sogar noch grösser. Demnach gibt jede zweite vierköpfige Familie, die eine Wohnung mietet, jeden Monat 1984 Franken für Miete und Nebenkosten aus. Familien, die ein eigenes Heim besitzen, bezahlen monatlich 769 Franken weniger für Hypothek, Amortisation und Nebenkosten. Sie wohnen also 38 Prozent günstiger.
Die Banken haben sich die Regeln für die Hypothekenvergabe auf Druck von Finma und Nationalbank selbst auferlegt. Wollen sie diese lockern, müssen sie mit einer Intervention der Finma rechnen. So geschehen bei der Raiffeisenbank, als sie weniger strenge Kriterien einführen wollte, um Familien den Kauf von Wohneigentum zu erleichtern (saldo 8/2017). Der Bund ist also mitverantwortlich, dass es der Mittelstand schwer hat, Wohnkosten zu sparen – obwohl er laut Artikel 108 der Bundesverfassung den Erwerb von Wohneigentum zum Eigenbedarf fördern müsste.
Die Finma begründet ihre Politik mit den hohen Immobilienpreisen. Diese seien in den letzten 20 Jahren «deutlich stärker gestiegen als die Konsumentenpreise». Es gebe Hinweise auf eine «Überbewertung» von Wohnliegenschaften. Die Nationalbank sieht das ebenso. Sänken die Immobilienpreise, müssten viele Kreditnehmer ihre Hypothekarschuld reduzieren. Nationalbank und Finma rechnen dann wegen zahlungsunfähiger Eigentümer mit hohen Verlusten für die Banken. Für die Finma sind deshalb strenge Regeln bei der Hypothekenvergabe angebracht.
Die Bundespolitiker sind sich nicht einig, ob Käufer von Wohneigentum künftig die 20 Prozent Eigenkapital wieder vollständig aus der Pensionskasse nehmen dürfen. Die Mehrheit des Nationalrats sagte im März Ja zu einem solchen Vorstoss. Zwei Wochen später lehnte ihn eine Kommission des Ständerats aber ohne Gegenstimme ab.