Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rät, Zigaretten mit einem Satz von mindestens 75 Prozent zu besteuern. Staaten mit niedrigeren Sätzen sollten ihre Steuern erhöhen. Die Gesundheitsexperten halten das für die wirksamste Massnahme, um den Tabakkonsum zu reduzieren und so Leben zu retten. Nach Berechnungen der WHO senken 10 Prozent höhere Zigarettenpreise den Konsum um 4 Prozent.
Für das Schweizer Parlament ist das kein Grund, die Tabaksteuern zu erhöhen. Vom Verkaufspreis eines Päckchens Zigaretten gehen durchschnittlich nur 62 Prozent ans Steueramt. Das zeigen Zahlen der Eidgenössischen Zollverwaltung. Die Schweiz verlangt somit weniger Steuern als alle EU-Länder. Deutschland besteuert Zigaretten zum Beispiel mit 72,5 Prozent, Österreich mit 78 Prozent, Frankreich mit 84 Prozent und Grossbritannien mit 92 Prozent. Das zeigen Zahlen der EU-Statistikbehörde Eurostat für das Jahr 2019.
Hoher Anteil Raucher in der Schweiz
Den Schweizer Steuerbehörden entgingen 2019 rund 475 Millionen Franken an Tabak- und Mehrwertsteuern, wenn man die WHO-Empfehlung als Messlatte nimmt. Zudem sind die Zigarettenpreise wenig abschreckend: 27 Prozent der Bevölkerung rauchen nach eigenen Angaben – das ist so viel wie vor zehn Jahren. Nur die Zahl der starken Raucher nahm in den vergangenen Jahren ab. Das ergab eine Gesundheitsbefragung, die das Bundesamt für Statistik kürzlich veröffentlichte. Zum Vergleich: In Italien rauchen nur 22 Prozent der Bevölkerung, in Grossbritannien und Irland nur 17 Prozent.
Das hat Folgen: In der Schweiz sterben laut dem Bundesamt für Gesundheit jährlich rund 9500 Menschen frühzeitig an Herzinfarkten, Krebs und anderen Krankheiten, die mit dem Rauchen zusammenhängen. Zum Vergleich: Im Jahr 2017 verunfallten in der Schweiz 1534 Menschen tödlich, 1003 starben durch Suizid. Dieses Jahr starben bis zum 5. Juni laut dem Bundesamt für Gesundheit etwas über 1660 Corona-Infizierte.
Die Schweiz ist für Tabakmultis ein lukrativer Markt. Sie erhöhten laut Zollverwaltung die Zigarettenpreise in den vergangenen sechs Jahren um 5 Prozent. Raucher zahlten 2019 Fr. 8.60 für ein Päckchen Zigaretten Marlboro rot. Hersteller und Handel kassieren davon Fr. 3.41 – der Rest sind Steuern und Abgaben (siehe Grafik im PDF). In Deutschland bleiben Produzenten und Läden bei Premiumzigaretten im Durchschnitt nur Fr. 2.37, in Frankreich Fr. 1.74. Das zeigen Zahlen der Zollbehörden und des Deutschen Zigarettenverbands.
Tabakmultis haben ihre Lobbyisten im Parlament
Wolfgang Kweitel von der Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention Schweiz kritisiert: «In keinem anderen Land in Europa verdienen die Hersteller so viel Geld pro Zigarette wie in der Schweiz.» Das Europäische Netzwerk für Rauchen und Tabakprävention zog jüngst in seinem Jahresbericht das Fazit: «Die Schweiz scheint mehr am Wohlergehen der Tabakkonzerne interessiert zu sein als an der Gesundheit ihrer Bürger.»
Die Tabakmultis Philip Morris International und British American Tobacco und Japan International haben wichtige Zentralen in Lausanne. Die Weltzentrale von Japan Tobacco International ist in Genf. Die Konzerne betreiben Fabriken in Neuenburg, Boncourt JU und Dagmersellen LU. Ihr Einfluss reicht ins Parlament. Zum Beispiel kämpft der Zürcher SVP-Nationalrat Gregor Rutz gegen mehr Tabakkontrolle. Rutz steht auf der Lohnliste der Tabakindustrie: Er ist Präsident der Vereinigung des Schweizerischen Tabakhandels.