Wer in Lengwil TG wohnt, hat Pech: Ein durchschnittlicher Haushalt, der 4500 Kilowattstunden (kWh) Strom pro Jahr verbraucht, zahlt im kommenden Jahr 999 Franken mehr als dieses Jahr. Die Stromrechnung steigt von 875 auf 1874 Franken – also auf mehr als das Doppelte. Gemeindepräsident Ciril Schmidiger sagt: «Wir müssen 95 Prozent unserer Elektrizität am Markt einkaufen. Und dort sind die Preise seit Ende 2021 explodiert.»
Noch Anfang 2021 kostete eine Megawattstunde Strom an der europäischen Energiebörse in Leipzig (D) 53 Euro. Gegen Ende August dieses Jahres waren es bereits 1000 Euro.
Laut der Eidgenössischen Elektrizitätskommission steigt die Stromrechnung eines durchschnittlichen Schweizer Haushalts im kommenden Jahr um 261 Franken (plus 27 Prozent). Hauptgrund für die Kostenexplosion sind die enorm hohen Preise für die Strombeschaffung am Markt. Aber auch die Netzgebühren verteuern sich markant – obwohl sie schon seit einigen Jahren zu hoch sind. Das zeigt eine saldo-Stichprobe bei 40 Stromversorgern (siehe Tabelle im PDF). Die Stromrechnung setzt sich so zusammen:
Netzgebühren:Diese stellen die Elektrizitätswerke für Betrieb, Unterhalt und Ausbau ihrer Stromnetze in Rechnung. In den Netzgebühren enthalten ist auch ein vom Bundesrat jährlich festgesetzter Zins, den die Stromversorger für ihr ins Netz investiertes Geld erhalten. Die Kunden zahlen mit der Stromrechnung seit fünf Jahren einen Zins von 3,83 Prozent. Dieser spült den Netzbetreibern über 800 Millionen Franken pro Jahr in die Kassen.
«Bedingungsloser Grundgewinn für Strombarone»
Preisüberwacher Stefan Meierhans hat dafür kein Verständnis: «Ein tieferer Zins wäre seit rund zehn Jahren angezeigt.» Mitte Juni empfahl er dem Bundesrat, den Zinssatz «umgehend» von 3,83 auf 2,11 Prozent zu senken, um Haushalte und Gewerbebetriebe zu entlasten. Das «würde die Preise um jährlich 350 Millionen Franken reduzieren, ohne dass eine verminderte Investitionstätigkeit befürchtet werden muss». Deutliche Worte wählt auch der stellvertretende Direktor des Gewerbeverbands, Henrique Schneider: Er bezeichnet die hohe Verzinsung als «bedingungslosen Grundgewinn für die Strombarone».
Energieministerin Simonetta Sommaruga könnte also sofort handeln und die Haushalte spürbar entlasten. Doch das Bundesamt für Energie winkt ab: Die Allgemeinheit habe «ein Interesse am Erhalt, Ausbau und reibungslosen Funktionieren der Stromnetze und an einem Ausbau der einheimischen Energien». Darum bestehe «ein erheblicher Investitionsbedarf», was bei der Festsetzung des Zinssatzes zu berücksichtigen sei.
Zu den Netzkosten gehören auch die sogenannten Systemdienstleistungen der Netzgesellschaft Swissgrid fürs nationale Höchstspannungsnetz. Sie sollen einen stabilen Netzbetrieb garantieren. Swissgrid verlangt dafür statt 0,16 neu 0,46 Rappen pro kWh, ebenfalls zulasten der Konsumenten. Profiteure sind die Aktionäre der Swissgrid, darunter die Stromkonzerne BKW, Axpo, EWZ und CKW.
Energiekosten:Diese Kosten stellen die Versorger für die Energiebeschaffung in Rechnung. Die Kosten für die Eigenproduktion blieben in den letzten Monaten stabil. Deshalb schlagen Versorger wie die Berner BKW, das Zürcher EWZ und das Elektrizitätswerk Nidwalden, die fast all ihren Strom selbst erzeugen, beim Energiepreis nicht auf. Bei Unternehmen dagegen, die nur wenig oder gar keinen Strom selbst erzeugen, wird es teuer.
Abgaben und Gebühren: Haushalte zahlen mit der Stromrechnung auch Abgaben an die Bundeskasse. Sie betragen nächstes Jahr unverändert 2,3 Rappen pro kWh. Das Geld wird kassiert, um die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien zu fördern und Projekte zur Gewässersanierung zu unterstützen. Hinzu kommen bei vielen Versorgern Abgaben an den Kanton oder die Gemeinde für Beleuchtung, Energieberatung und weitere Dienstleistungen.
Nicht zu vergessen ist die Mehrwertsteuer: Wird die Stromrechnung für Haushalte um 27 Prozent teurer, liefern diese via Mehrwertsteuer pro Jahr rund 90 Millionen Franken mehr an den Fiskus ab.
Energiereserven so hoch wie letztes Jahr
Gut gefüllte Stauseen:
Für die Stromversorgung in der Schweiz ist die Wasserkraft zentral. 68 Prozent der Elektrizität, die letztes Jahr aus Schweizer Steckdosen floss, stammte aus Wasserkraftwerken. Sie wurde zu 76 Prozent in der Schweiz produziert. Entsprechend kommt dem Wasserstand in den Stauseen grosse Bedeutung zu: Ende August waren die Schweizer Speicherseen zu 78,8 Prozent gefüllt. Vor einem Jahr betrug der Füllstand rund 83 Prozent.
Volle Gasspeicher: Die Schweizer Versorger kaufen Gas in Deutschland, Frankreich, Italien und Holland ein. Die meisten dieser Länder haben aktuell deutlich mehr Gas gespeichert als zum selben Zeitpunkt vor einem Jahr. In Deutschland sind die Speicher zu 85,6 Prozent gefüllt (2021: 60,3 Prozent), in Holland zu 79,2 Prozent (2021: knapp 50 Prozent). Die französischen Speicher sind zu 92,7 Prozent gefüllt, jene in Italien sind zu vier Fünfteln voll – wie 2021. Gemäss der deutschen Bundesnetzagentur liegen die aktuellen Gasfüllstände «deutlich höher als in den Jahren 2015, 2017, 2018 sowie 2021».
Ölreserven leicht tiefer:
Ölkonzerne müssen Benzin-, Diesel- und Heizölreserven für viereinhalb Monate lagern. Am 2. September waren die Pflichtlager zu 90 Prozent gefüllt: Die Reserven betrugen bei Benzin und Diesel je rund 1,1 Millionen, beim Heizöl 0,8 Millionen Kubikmeter. 2021 waren die Lager voll.