Seit 2021 können Patienten ihre medizinischen Unterlagen in einem elektronischen Patientendossier abspeichern lassen. Doch die im Internet abrufbare Patientenakte ist ein Flop: Nur 13 000 Leute eröffneten bisher ein Dossier.
Das Bundesamt für Gesundheit engagierte deshalb im November die Zürcher Werbeagentur Farner Consulting, um für das Patientendossier zu werben. Die Kosten belaufen sich gemäss Ausschreibungsunterlagen des Bundes auf 6 Millionen Franken. Auf Anfrage von saldo begründet das Bundesamt, die Werbekampagne solle «den Nutzen des Patientendossiers aufzeigen und das Vertrauen in die Datensicherheit erhöhen».
Das scheint dringend nötig. SP-Nationalrätin Sarah Wyss kennt das Patientendossier als Leiterin der ärztlichen Direktion der universitären psychiatrischen Dienste Bern gut. Ihr Urteil: «Das Projekt ist ein Rohrkrepierer, der nur Kosten verursachtund niemandem etwas bringt.»
Für Wyss sind Zugang und Nutzung zu kompliziert. So müssen Patienten ein Dossier persönlich am Postschalter eröffnen. Und Berichte und Laborresultate werden je nach Arzt einfach als PDF gespeichert – also quasi als Fotografie eines Arztprotokolls. Ein behandelnder Arzt sollte aber Patienteninformationen über Allergien, Vorerkrankungen oder eingenommene Medikamente unkompliziert im Dossier abrufen können. Bei PDF-Dokumenten geht das nicht. Der Arzt müsste jedes Dokument einzeln öffnen und durchlesen.
Nicht praxistauglich, Datenschutz ungenügend
Der Zürcher Arzt und Kantonsrat Josef Widler (Mitte) nannte das elektronische Patientendossier während einer Ratsdebatte im März deswegen einen «PDF-Friedhof». Der Aargauer SVP-Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati sprach in der Aargauer Zeitung im November von einem «Fehlschlag».
Zur fehlenden Praxistauglichkeit kommen Datenschutzbedenken hinzu. Denn die persönlichen Gesundheitsdaten könnten bei Behörden oder datenhungrigen Pharmaunternehmen landen (saldo 7/2019).
Bereits seit 15 Jahren werkelt der Bund am Patientendossier. Er gibt Millionen aus für eine Koordinationsstelle namens eHealth Suisse. Diese betreibt 19 Gesprächsgruppen, um das Patientendossier voranzubringen. Jahresbudget: 3 Millionen Franken.
Die Werbeoffensive kommt just zu jener Zeit, in der der Bundesrat ein Obligatorium vorbereitet: Alle Einwohner sollen ein Internetdossier führen, ausser sie wehren sich. Das kündigte der Bundesrat im April an. Das Vorgehen erinnert an die langjährige Kampagne zur Organentnahme: Dort nahm das Volk im Mai am Ende mit 60 Prozent das neue Bundesgesetz an, wonach allen Patienten Organe entnommen werden dürfen – ausser sie lehnen es durch einen Eintrag in ein nationales Register explizit ab. Das Gesetz wird frühestens 2025 in Kraft treten, weil die elektronische Plattform dazu noch in Arbeit ist.