Viele Städte haben in den letzten 30 Jahren ihr Gesicht verloren. Alteingesessene Läden schlossen und Stadtzentren wandelten sich in Bürowüsten.
Der deutsche Ökonom und Datenschutzexperte Peter Schaar hat einen Grund dafür ausgemacht: «Die Verschlechterung der Lebensqualität in manchen Innenstädten ist eng mit der digitalen Transformation verbunden», schreibt er. «Waren es früher die Supermärkte am Stadtrand, die dem innerstädtischen Einzelhandel zu schaffen machten, sind es heute Amazon und Co.» Also Internethändler, die den Läden in den Städten die Kunden wegnehmen.
Doch das ist erst ein Vorgeschmack dessen, was noch kommt. Die Stadt der Zukunft sei laut den Versprechungen der IT-Industrie «eine Art Verwaltungsparadies», in dem öffentliche Dienstleistungen «komplett per Internet abgewickelt und Umwelt und Verkehrsprobleme durch Technik bewältigt werden», schreibt der Autor. «Diese Fixierung auf Technologie führt zwangsläufig zu technokratischen Lösungen, die an den Interessen der Bewohner vorbeigehen.»
Auf dem Reissbrett entworfene Geisterstädte
Ein Beispiel einer solchen leblosen Retortenstadt ist für Schaar das südkoreanische Songdo. Die auf dem Reissbrett entworfene, voll digitalisierte Metropole wurde vor 20 Jahren rund 60 Kilometer von der Hauptstadt Seoul entfernt aus dem Boden gestampft. Songdo gleicht einer Geisterstadt, obwohl dort inzwischen rund 150'000 Einwohner wohnen. Stadtmodernisierungen seien nur dann erfolgreich, «wenn sie menschengerecht und partizipativ sind», schreibt Schaar.
Als Alternative zu Songdo oder chinesischen Reissbrettstädten wie Lingang, Kangbashi und Zhengzhou nennt er Barcelona. Seit 15 Jahren werden in der katalanischen Hauptstadt zentrale Infrastrukturbereiche wie Verkehr und Energie digital gesteuert.
Die Stadt plant aber nicht über die Köpfe der Bürger hinweg: Diese sind über die Internetplattform «Decidim» in die Entscheide eingebunden und haben Einblick in die Daten der Verwaltung. So wird die Stadt der Zukunft nicht zum Albtraum.
Peter Schaar, «Schöne neue Stadt», Hirzel, Stuttgart 2024, 176 Seiten, ca. 38 Franken