Buchtipp: Propaganda mit Landkarten
In seinem schön gestalteten Buch zeigt Martijn Storms, wie mit geografischen Karten seit Hunderten von Jahren Politik gemacht wird.
Inhalt
saldo 03/2025
19.02.2025
Remo Leupin
E nde des 9. Jahrhunderts passte die Welt noch auf ein paar Quadratzentimeter: Der Durchmesser der Weltkarte, die ein Mönch der Pariser Abtei SaintGermain-des-Prés für eine Chronik erstellte, beträgt gerade mal 45 Millimeter. Die sogenannten TO-Karten waren im Mittelalter verbreitet: Das O symbolisierte den Erdkreis, der von Meer umgeben war. Das T im Inneren stellte die Flüsse Don und Nil dar, welche die Landmasse in die Kontinente Europa, Afrika und Asien einteile...
E nde des 9. Jahrhunderts passte die Welt noch auf ein paar Quadratzentimeter: Der Durchmesser der Weltkarte, die ein Mönch der Pariser Abtei SaintGermain-des-Prés für eine Chronik erstellte, beträgt gerade mal 45 Millimeter. Die sogenannten TO-Karten waren im Mittelalter verbreitet: Das O symbolisierte den Erdkreis, der von Meer umgeben war. Das T im Inneren stellte die Flüsse Don und Nil dar, welche die Landmasse in die Kontinente Europa, Afrika und Asien einteilen.
Die Karte aus dem Frühmittelalter ist eines von 100 Fundstücken, die der niederländische Kartenkonservator Martijn Storms in seinem mehr als 400-seitigen Buch im Grossformat zusammentrug: Welt- und Seekarten, aber auch Kuriositäten an der Grenze zwischen Fakt und Fiktion.
Seit dem späten 15. Jahrhundert, als Spanien und Portugal die beste Seeroute nach Indien suchten, dienten Karten nicht nur der Orientierung, sondern auch politischen Zwecken. So benutzten etwa holländische Kartografen Europakarten als Propagandamittel gegen die spanische Krone, die ihre Herrschaft stetig ausbaute: Der Kontinent wird in Gestalt einer bewaffneten Frau mit Spanien als Kopf abgebildet. Im Zeichen der Politik steht auch eine chinesische Weltkarte aus dem Jahr 2013.
Anders als traditionelle horizontale Darstellungen zeigt diese Karte die Welt in der Vertikalen – mit China im Zentrum: Europa schrumpft zum Anhängsel Asiens, Nordamerika steht kopf und ist von Südamerika abgeschnitten, das verloren am unteren Rand der Karte baumelt. «Damit präsentiert China eine neue geopolitische Sicht, in der es für sich eine Hauptrolle beansprucht», schreibt Storms. Es sei kein Zufall, dass die Karte zeitgleich mit dem Start des globalen chinesischen Infrastruktur- und Handelsprojekts «Neue Seidenstrasse» publiziert worden sei.
Martijn Storms, «Karten», Prestel/ Penguin Random House, 2024, 432 Seiten, ca. 100 Franken