Man kann die täglichen Informationen über das Elend der Bevölkerung im Gazastreifen einfach nicht mehr zur Kenntnis nehmen, weil sie unerträglich sind. Oder man kann versuchen, zu verstehen, was im Nahen Osten vor sich geht. Einen erhellenden Beitrag dazu liefert der 60-jährige Journalist Johannes Zang. Er lebte zehn Jahre in Israel und im besetzten Palästina. Seit 1986 unternahm er 30 Reisen in den durch Israel abgeriegelten Gazastreifen.
Für Zang beginnt die Geschichte Palästinas nicht am 7. Oktober 2023, dem Tag des Angriffs von Hamas-Milizen auf Israel. Er blickt zuerst zurück in die Zeiten, in denen Gaza eine bedeutende Hafenstadt und Endpunkt einer der ältesten Handelsrouten der Welt war. Laut Zang galt sie als «Architekturparadies», bis sie von Napoleon zerstört wurde. Ende des 19. Jahrhunderts nahm die Bevölkerung wieder zu, die Wirtschaft blühte auf.
Der Autor beschreibt, wie die Leidensgeschichte der Bevölkerung mit der Aufteilung des Nahen Ostens durch Frankreich und Grossbritannien begann, dem Abzug der Briten und der Vertreibung eines Grossteils der Bevölkerung durch den neugegründeten Staat Israel. 1967 eroberte Israel den Gazastreifen, seit 2005 wird er belagert.
Das Buch endet mit einer Zwischenbilanz des Schreckens am 12. Juni 2024, dem 250. Tag des aktuellen israelischen Angriffs. Das 280-seitige Buch enthält eine Fülle von Informationen. Wie ist das Leben im Flüchtlingslager? Warum darf sich Gaza wirtschaftlich nicht entwickeln? Warum erhielt die Hamas die Mehrheit der Stimmen?
Zang stellt Fragen und beantwortet diese in kurzen Abschnitten. Im Zentrum des Buches steht das Leben und Leiden der Bevölkerung, nicht die Kriegspropaganda von Politikern, denen die Medien viel Platz einräumen. Das Buch ist eine wichtige Lektüre, weil Israel seit Oktober 2023 keine Journalisten mehr in den Gazastreifen einreisen lässt und so eine unabhängige Berichterstattung verhindern will.
Johannes Zang, «Kein Land in Sicht?», Papyrossa, Köln 2024, 280 Seiten, ca. 24 Franken