Für Fabien Fivaz steht ausser Frage: «Wir müssen unverzüglich handeln, um die Gesundheit der Kinder zu schützen.» In einem Vorstoss verlangte der grüne Neuenburger Nationalrat vergangenen Dezember, «dass alle belasteten Böden, auf denen Kinder regelmässig spielen und welche die Gesundheit der Kinder gefährden, zu sanieren sind».
Fivaz begründete seine Forderung mit neusten Zahlen des Bundesamts für Umwelt. Demnach sind schätzungsweise 36 000 Spielflächen in der Grösse von 1250 Fussballfeldern mit einer Bleikonzentration belastet, die für Kleinkinder riskant ist. Es könnten «mehrere Tausend Kleinkinder beim täglichen Spiel im Garten einer gesundheitsgefährdenden Bleibelastung ausgesetzt sein», heisst es in einem Altlastendossier des Amts.
Die Gefahr lauert vor allem in Gärten älterer Häuser, wo die Kleinen auf dem Boden krabbeln. «In den ersten Lebensjahren nehmen Kinder alles in den Mund, auch Erde», sagt Martin Forter, Geschäftsleiter der «Ärzte für Umweltschutz». Auch die Böden vieler Spielplätze sind belastet.
Blei ist ein hochgiftiges Schwermetall. Über das Blut schädigt es das Nervensystem und Organe wie Herz und Nieren, steigert das Krebsrisiko und beeinträchtigt die Entwicklung des Gehirns und die Fruchtbarkeit. Für Säuglinge und Kleinkinder ist Blei besonders gefährlich: «Sie scheiden nur 32 Prozent des aufgenommenen Bleis wieder aus, Erwachsene dagegen 99 Prozent», erklärt Nicolas Roth vom Schweizerischen Zentrum für angewandte Humantoxikologie in Basel. «Deshalb kommt es im Körper und besonders in den Knochen von Kindern zu einer viel grösseren Anreicherung, wenn sie der Bleibelastung kontinuierlich ausgesetzt sind.»
Verursacht durch falsche Düngung, Industrie und Verkehr
Wie gelangte das Blei in die Böden? In den Städten war es bis Mitte des 20. Jahrhunderts verbreitete Praxis, Hausgärten zum Gemüseanbau nicht nur mit Kompost zu düngen. Die Bewohner brachten oft auch belastete Stoffe wie Klärschlamm, Giessereisand, Schlacken und Asche aus, die aus Kohleheizungen oder von verbranntem Abfall stammten. Hinzu kommt Blei aus der Luft von Industrieanlagen und von Autos aus der Zeit, als das Benzin noch bleihaltig war.
In der Schweiz liegen mehrere Analysen aus den letzten Jahren zur Bleibelastung von Hausgärten und Spielplätzen vor. Sie sind besorgniserregend. In der Stadt Freiburg etwa lag der Bleigehalt bei 80 von 97 untersuchten Privatgärten und öffentlichen Grünflächen über dem Richtwert der Bodenschutzverordnung des Bundes von 50 Milligramm pro Kilo (mg/kg). 40 dieser Areale übertrafen gar den Prüfwert von 300 mg/kg, davon 3 den Sanierungswert von 1000 mg/kg. Im Kanton Uri ergab eine Abklärung in sechs Gemeinden, dass bei 11 von 13 Hausgärten und Spielplätzen der Bleigehalt über dem Richtwert lag. Bei einem davon wurde sogar der Prüfwert überschritten.
Die Bodenschutzverordnung verlangt bei einer Überschreitung des Richtwerts vom Kanton, den weiteren Anstieg der Belastung zu verhindern. Bei Bleigehalten über dem Prüfwert muss er klären, ob die Belastung «Menschen, Tiere oder Pflanzen konkret gefährdet», und je nach Resultat die Nutzung des Bodens einschränken. Ist der Sanierungswert überschritten, gilt ein Nutzungsverbot, bis der Boden saniert ist.
Ausgesprochen hohe Schwelle für Sanierungen
Der Schweizer Sanierungswert von 1000 mg/kg ist sehr hoch. Deutschland, Frankreich, Italien oder Schweden sind mit Werten zwischen 400 und 80 mg/kg deutlich strenger. Das Bundesamt für Umwelt beantragte vor mehr als zwei Jahren, den Sanierungswert in der Altlastenverordnung zu senken. Sie gilt für belastete Standorte wie stillgelegte oder aktive Abfalldeponien und Industrieareale, die in den Altlastenkatastern der Kantone erfasst sind. Das Amt schlägt vor, dass dort Haus- und Familiengärten sowie Spielplätze zu sanieren sind, wenn der Bleigehalt 300 mg/kg übersteigt.
Dem Verein «Ärzte für Umweltschutz» ist das zu wenig streng. Er verlangt eine Senkung des Sanierungswerts auf 83 mg/kg und beruft sich auf eine Empfehlung des Zentrums für angewandte Humantoxikologie. Dieses hatte 2017 im Auftrag des Bundes die Risiken von Schadstoffen in Gärten beurteilt. Der Bundesrat wiederum verspricht, die Regeln für schadstoffbelastete Gärten und Spielplätze für alle Böden zu vereinheitlichen und zu verschärfen. Er kündigte eine Revision des Umweltschutzgesetzes an. Sie könnte Anfang 2023 in Kraft treten – frühestens. Den Vorstoss von Fabien Fivaz, der «unverzügliches Handeln» forderte, findet der Bundesrat unnötig. Ebenso der Nationalrat: Er lehnte ihn im März diskussionslos ab.
Sanierung kostet bis zu 150 Franken pro Quadratmeter
So finden Eigentümer heraus, ob ihr Boden mit Blei belastet ist:
Eingetragene Standorte: Ist ein Standort im kantonalen Altlastenkataster eingetragen, muss der Kanton abklären, ob eine Untersuchung nötig ist. Falls ja, fordert er den Eigentümer dazu auf. Die Kosten einer allfälligen Sanierung trägt in erster Linie der Verursacher der Belastung und nur zu einem kleinen Teil – in der Regel zu maximal 30 Prozent – der Landeigentümer. Ist der Verursacher unbekannt oder wusste der Eigentümer nichts von der Belastung, tragen Kanton oder Gemeinde die Kosten, unterstützt vom Altlastenfonds des Bundes.
Übrige Standorte: Bei allen übrigen Böden sind Untersuchungen freiwillig. In Gärten von über 60 Jahre alten Häusern ist eher mit Belastungen zu rechnen als bei jüngeren. Infos und Adressen von Altlastenberatern gibts beim Verband Baustoffrecycling Schweiz unter www.arv.ch. Untersuchungs- und allfällige Sanierungskosten gehen zulasten des Grundeigentümers. Der Austausch der obersten Bodenschicht durch sauberes Erdreich kostet rund 140 bis 150 Franken pro Quadratmeter.