Er sieht unspektakulär aus, der Blasenkatheter: Ein Kunststoffschlauch mit einem Verschluss und einem Beutel. Der Arzt bringt ihn entweder über die Bauchdecke oder die Harnröhre in die Harnblase ein. Der Urin fliesst dann durch den Schlauch und sammelt sich im Harnbeutel neben dem Patientenbett.
Jeder Vierte aller hospitalisierten Patienten erhält einen Blasenkatheter. Dies berichtete Jonas Marschall, Leitender Arzt im Berner Inselspital, letztes Jahr an einem Symposium in Bern. In vielen Fällen merkt der Patient nichts von diesem Eingriff – etwa wenn er bewusstlos auf der Intensivstation liegt.
Katheter oft wechseln reduziert Infektionen
Seit vielen Jahren hinterfragen vor allem US-Wissenschafter den Einsatz von Blasenkathetern. Denn diese können Infektionen auslösen, sogar tödliche. Harnweginfektionen zählen zu den gefährlichsten Infektionen, die man in einem Spital auflesen kann (siehe Kasten).
Das Uni-Spital Genf und das Regionalspital Emmental Burgdorf BE konnten 2006 und 2013 darlegen, dass die Infektionsrate markant sinkt, wenn ein Blasenkatheter häufiger ausgewechselt und das Spitalpersonal besser geschult wird: Die Infektionsrate sank um über 60 Prozent, heisst es in der Studie.
Dass der Blasenkatheter häufig verwendet wird, hat auch mit der Bequemlichkeit des Spitalpersonals zu tun. Der kanadische Medizinwissenschafter Michael Gardam zeigte bereits 1998 auf, dass bis zu 50 Prozent aller Katheter-Verordnungen medizinisch nicht nötig wären.
Das Bundesamt für Gesundheit will gegen die Katheter-Manie vorgehen. Der Medizinverein Swissnoso und die Stiftung Patientensicherheit Schweiz führen im Sommer im Auftrag des Bundesamts in den Spitälern eine Präventionskampagne durch. Das Ziel: die Infektionsrate zu senken, indem weniger Katheter verordnet werden und Spitalpersonal besser ausgebildet wird.
Patienten sollten sich beim Arzt erkundigen
Wie gehen Patienten und Angehörige mit der Ungewissheit um, ob der Katheter nötig ist oder nicht? David Schwappach, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Patientensicherheit: «Ich empfehle, das Gespräch mit dem behandelnden Arzt oder der Pflegefachperson zu suchen und nachzufragen, ob der angeschlossene Blasenkatheter nötig ist.»
Nach 2018 – so lange dauert das Pilotprogramm noch – wird das hoffentlich selbstverständlich sein. Dann sollten für alle Spitäler in der Schweiz die gleichen klaren Richtlinien im Umgang mit Blasenkathetern gelten.
Rund 70 000 Spitalinfektionen pro Jahr
Neben Infektionen durch Blasenkatheter drohen Patienten in Schweizer Spitälern noch weitere Gesundheitsrisiken:
7 Prozent aller Patienten erleiden eine Spitalinfektion, schätzt Swissnoso, die Vereinigung der Schweizer Spitalinfektiologen. Und: Die jährlich 70 000 Infektionen würden bis zu 2000 Todesfälle sowie Kosten von rund 250 Millionen Franken verursachen. Experten schätzen, dass mindestens ein Drittel der Infektionen vermeidbar wäre.
Die Stiftung für Patientensicherheit rechnet angesichts von jährlich rund 1,2 Millionen Hospitalisierungen in der Schweiz mit zusätzlich rund 12 000 ärztlichen Behandlungsfehlern.
Oft verlängert ein solcher Fehler den Spitalaufenthalt oder führt beim Patienten gar zu Gesundheitsschäden. Das zeigen grossanlegte Studien aus Schweden, Frankreich, Kanada, Spanien, Grossbritannien und den Niederlanden. Zum Beispiel erhalten Patienten die falschen Medikamente, infizieren sich im Spital oder bekommen eine nicht optimale Behandlung, etwa während einer Operation.