Bei Coop kosten vier Schweizer Bio-Eier Fr. 3.55. Denner verlangt dafür nur Fr. 2.75. Auf beiden Packungen garantiert die Bio-Knospe dieselbe Qualität, womöglich stammen die Eier sogar aus demselben Stall. Die Konsumenten freut der Preisunterschied von 22 Prozent. Ein anderes Beispiel: Coop verlangt für einen Liter Bio-Milch mit Knospe Fr. 1.75, Lidl nur Fr. 1.69. Solche Bio-Schnäppchen gibt es nicht mehr lange. Still und leise hat der Dachverband Bio Suisse seine Knospe-Richtlinien geändert. Am 22. April tagte die Delegiertenversammlung in Olten. Sie hiess zwei neue Bestimmungen gut, die direkt auf die Billiganbieter Aldi, Denner und Lidl abzielen.
«Discountkanal» wird nicht mehr beliefert
Der erste Artikel verbietet es der Lebensmittelindustrie und Vertriebsorganisationen, die Billiganbieter mit Knospe-Ware zu beliefern: «Lizenznehmer, die ihre Produkte ohne geschützten Markennamen vertreiben, vermarkten ihre Produkte nicht im Discountkanal und nicht in Produktlinien, die sich durch tiefe Preise definieren», heisst es darin. Begründet wird dies mit der Befürchtung von «marktunüblichem Druck auf Produzentenpreise» und «Preisdumping». Für Letzteres – Verkauf unter Einstandspreis – konnte Bio-Suisse-Geschäftsführer Markus Arbenz gegenüber saldo jedoch keine Beispiele nennen.
Für die Hersteller geschützter Marken, zum Beispiel Emmi, gibts eine Sonderregelung. Sie dürfen Discounter und Tiefpreislinien beliefern, wenn ihre Marke – und nicht die Knospe – den Verkaufsauftritt dominiert. Nach dem Wortlaut der Bestimmung könnte auch Coop mit der Marke Naturaplan das Tiefpreissegment nutzen. «Solche Pläne gibt es nicht», sagt Coop-Sprecherin Denise Stadler, «Naturaplan wird nie eine Tiefstpreislinie sein.»
Die neuen Bestimmungen haben weitreichende Folgen. Über 730 Schweizer Firmen bieten Produkte in Knospe-Qualität an. Rund zwei Drittel der 1,4 Milliarden Franken Jahresumsatz mit Bio-Produkten in der Schweiz werden mit diesem Gütesiegel erzielt. Es bürgt für eine ständig kontrollierte gesamtbetriebliche Bio-Produktion, Verzicht auf Gentechnik und eine schonende Verarbeitung ohne Zugabe von Farb- und Aromastoffen und geniesst eine hohe Glaubwürdigkeit. Bio Suisse hat die Hoheit über die Knospe. Sie hat diese Schutzmarke für den kontrollierten biologischen Anbau 1981 geschaffen.
Bio-Bauern künftig an der kurzen Leine
Der zweite Artikel zielt auf die eigene Basis. Den Bio-Bauern ist zwar weiterhin gestattet, den Discountern Rüebli, Kartoffeln oder andere Knospe-Ware zu liefern. Doch im Laden dürfen diese Produkte nicht mehr «mit der Knospe ausgezeichnet und beworben werden», es sei denn, der Discounter erhalte von Bio Suisse «das ausdrückliche Recht dazu». Selbst bei den Inseraten von Discountern mit Bio-Produkten dürfen die Bio-Bauern nicht mehr mitmachen, so wie das neulich bei Aldi ein Gemüsepflanzer tat. Wer bei einer breiten Bio-Werbekampagne sein Gesicht herzeigen will, darf das laut ergänzter Richtlinie künftig «nur in Absprache mit Bio Suisse» tun.
Die Wirkung dieser Abschottungs- und Hochpreispolitik ist klar: Biologische Lebensmittel mit dem Knospe-Gütesiegel werden den weniger kaufkräftigen Konsumenten vorenthalten. Diese Politik dient den Grossverteilern, die den Bio-Bereich dominieren. Coop beherrscht mit seinen Knospe-Produkten die Hälfte des Bio-Marktes, die Migros kommt mit dem selber aufgebauten Bio-Label auf ein Viertel.
Beide bitten die Konsumenten für biologische Lebensmittel kräftig zur Kasse. Sie verrechnen nicht einfach die höheren Produktionspreise an die Kunden weiter, sondern schlagen zudem noch eine grössere Marge drauf, wie ein Preisvergleich des «K-Tipp» im Oktober 2008 anhand von Bio-Rüebli zeigte. Bei konventionell produzierten Rüebli betrug die Marge der Migros knapp 25 Prozent, bei biologischen hingegen je nach Filiale und Kanton über 70 Prozent. Coop kam auf rund 30 Prozent Marge bei herkömmlichem Anbau und 50 Prozent bei Knospe-Rüebli. Diese Werte seien nicht repräsentativ, bei vielen Produkten sei die prozentuale Marge sogar kleiner, entgegnet Markus Arbenz. Bio Suisse wehre sich beim Handel, wenn die Preise überbordeten: «Unser Ziel ist es, dass Bio-Preise nicht mehr als ein Drittel höher als vergleichbare konventionelle Produkte sind.» Erreicht ist dieses Ziel noch keineswegs.
Der Entscheid von Bio Suisse bringt den Konsumenten einen weiteren Nachteil: Weil die Discounter auf andere Gütesiegel ausweichen werden, sinkt die Transparenz. Dass auch Tiefpreisanbieter auf ökologische Produkte setzen, steht ausser Frage. «Auch Haushalte, die sparen müssen, sind sehr an Bio interessiert», stellten Experten an einer Fachtagung über Konsumtrends Anfang April im Gottlieb-Duttweiler-Institut in Rüschlikon fest. Jedes neue Label vergrössert den schon heute kaum überblickbaren Wirrwarr und schwächt das Vertrauen.
Fairer Lohn wichtiger als Marge für Grossverteiler
Solche Argumente wurden auch von Bio-Bauern an der Jahresversammlung in Olten vertreten. «In Deutschland basierte das Wachstum im Bio-Bereich vor allem auf der Discountschiene», sagte einer. Ein anderer berichtete von Fällen, bei denen Aldi den Bauern mehr zahle als Migros oder Coop und im Laden dennoch billiger sei. Vielleicht sei das Verkaufsregal nicht gleich schön und die Verpackung etwas weniger aufwendig, aber das sei kein Nachteil: «So sprechen wir neue Käuferschichten an.» Entscheidend sei ein fairer Preis für den Bio-Bauern, erkannte ein Produzent: «Wir müssen uns nicht um die Margen der Grossverteiler kümmern!» Die Mehrheit aber dachte anders.
Interessenverband: Die wichtigste Organisation der Bio-Bauern
Bio Suisse mit Sitz in Basel ist ein Dachverband, dem mehr als dreissig bäuerliche Mitgliedorganisationen angehören. Kunden sind verarbeitende Betriebe und der Handel. Sie bezahlen 0,9 Prozent Lizenzgebühr, wenn sie für ihre Produkte das Knospe-Gütesiegel nutzen. Knospe-Produkte sind erhältlich bei Coop, Spar, Volg und unabhängigen Detaillisten, im Direktverkauf sowie in Bio- und Reformläden. Die Lizenzgebühren (2008: 4,4 Millionen Franken) sind vor den Produzentenbeiträgen (2,6 Millionen) die wichtigste Einnahmequelle des Verbands.
Lange war Bio Suisse am Aktienkapital der Bio Inspecta in Frick beteiligt. Diese Kontroll- und Zertifizierfirma überwacht die Einhaltung der Richtlinien von Labels wie Knospe, M-Bio oder Demeter und entscheidet über deren Vergabe. Bio Suisse stellte auch einen Vertreter im Verwaltungsrat von Bio Inspecta. Damit standen die Kontrolleure unter dem Einfluss der Kontrollierten. Nachdem diese Verflechtungen kritisiert wurden (saldo 15/06), verkaufte Bio Suisse die Aktien. Sie stellt seither auch keinen Verwaltungsrat mehr.