Coop feiert sich selbst für 30 Jahre Bio-Produkte. «Wie wir die Natur behandeln? Gar nicht», lautet etwa die Schlagzeile in einem Inserat mit einem Bild von Äpfeln. Diese Werbung verbreitete der Grossverteiler vom Frühling bis Ende Juli auch auf Plakaten.
Jimmy Mariéthoz vom Schweizer Obstverband kritisiert das: «Die Werbung gibt vor, dass es ohne den Einsatz von Pestiziden möglich sein soll, Obstbau zu betreiben. Das ist aber nicht der Fall», sagt er.
Coop schreibt saldo: «Werbebotschaften sind naturgemäss kurz und zugespitzt.» Man lege aber Wert auf «eine faktenbasierte Kommunikation». Fakt ist: Coop bietet laut eigenen Angaben keine Lebensmittel an, die nicht mit Pestiziden behandelt wurden. Auch bei Bio-Produkten aus dem Obst-, dem Gemüse- und dem Rebbau kommen Pestizide gegen Schädlinge und Krankheiten zum Einsatz.
Grundsätzlich gilt: Im Bio-Anbau sind nur Schädlingsvernichter erlaubt, die auf natürlichen Stoffen basieren. In der konventionellen Landwirtschaft hingegen sind auch chemisch-synthetische Gifte zugelassen.
Eine Untersuchung des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (Fibl) in Frick BL von 2018 zeigt: In der konventionellen Landwirtschaft sind 46 von total 317 zugelassenen Pestiziden als gefährlich eingestuft, weil sie giftig für Menschen oder Insekten, Fische und weitere Tierarten sind. Im Bio-Anbau sind gut 100 Pestizide zugelassen. Fibl-Forscher Hans-Jakob Schärer sagt: «Bio-Pestizide sind nicht alle unproblematisch.»
Als heikel gelten drei Substanzen, die auch in der konventionellen Landwirtschaft eingesetzt werden:
- Das Insektizid Spinosad wird aus einem Bakterium gewonnen und ist für Insekten höchst giftig. Es gilt als schwierig ersetzbar, weil es gegen viele Schädlinge gut wirkt. 2021 wurden auf Schweizer Feldern gemäss Bundesamt für Landwirtschaft 2,4 Tonnen Spinosad verspritzt. Laut dem Bienengesundheitsdienst ist Spinosad gefährlich für Bienen.
- Pyrethrum wird aus Blüten gewonnen und ist weniger giftig als Spinosad. Es gilt aber als ebenso gefährlich für Bienen. Der Stoff zerstört die Nervenzellen von Insekten und ist auch für Wasserorganismen sehr giftig. 2021 wurden in der Schweiz 0,5 Tonnen davon verkauft.
- Kupfer ist mit einer Verkaufsmenge von 93 Tonnen pro Jahr eines der meistverwendeten Schädlingsmittel. Das Schwermetall wird gegen Pilzkrankheiten eingesetzt. Es reichert sich im Boden an und kann Regenwürmer schädigen. Kupfer sollte laut Bundesamt für Landwirtschaft nach Möglichkeit ersetzt werden.
Pestizideinsatz liesse sich mit resistenteren Sorten reduzieren
Bio-Pestizide haben den Vorteil, dass sie sich schnell abbauen. In Fliessgewässern und im Grundwasser wurden laut dem Fibl in der Schweiz keine biologischen Pestizide gefunden – aber Dutzende synthetische, etwa Chlorothalonil. Tests von saldo und «K-Tipp» zeigen immer wieder, dass biologische Lebensmittel im Gegensatz zu konventionellen selten Gift enthalten («K-Tipp» 15/2022).
Laut Experte Hans-Jakob Schärer liesse sich der Einsatz von Pestiziden etwa durch resistentere Frucht- und Gemüsesorten und niedrigere Ansprüche ans Aussehen reduzieren. Erfreulich: Im Getreideanbau setzen Bio-Bauern kaum Pestizide ein. Die Migros verkauft auch pestizidfreies Weizenmehl ohne Bio-Label. Und vom Backwarenhersteller Fredy’s gibt es pestizidfreie Bio-Brote.
Tipp: Wer möglichst pestizidfrei essen will, kann Produkte mit dem Demeter-Label wählen. Für Demeter-Bauern ist der Pestizideinsatz stärker eingeschränkt als für Bauern mit der Bio-Suisse-Knospe. Spinosad ist bei Demeter verboten, und Pyrethrum ist nur noch bis Ende 2026 erlaubt. Kupfer dürfen Demeter-Bauern nur in Notfällen einsetzen.