Bern, Anfang März: Das Warenhaus Globus öffnet um 9 Uhr seine Türen. Zielsicher steuert Sonia Moser ins Geschäft. Das Personal kennt sie: Jeden Monat kommt sie vorbei, um Preise von Lebensmitteln, Kleidern und Schuhen zu erfassen. Moser gehört seit 15 Jahren zum Preiserhebungsteam des Bundesamtes für Statistik. Die Preise dienen zur Berechnung des Landesindexes der Konsumentenpreise.
Beim Brot «Toscana» warnt das Gerät: Aufschlag 39 Prozent!
Moser geht zuerst ins Untergeschoss. Hier gilt es, die Preise von 93 Artikeln in der Lebensmittelabteilung ausfindig zu machen. Als Hilfsmittel dient ein Tablet-Computer mit einer speziellen Software. Im Gerät sind die Zahlen des Vormonats gespeichert. So ist ein Vergleich mit den neu erhobenen Preisen möglich.
Beim Ruchbrot «Toscana» schaltet die Software auf Rot mit Ausrufezeichen: Der neue Preis beträgt Fr. 3.90 – ein Aufschlag von 39,3 Prozent innert eines Monats. Zudem ist das Brot neu mit Bio angeschrieben. Die Nachfrage beim Verkäufer ergibt: Der Preis für dieses Brot wurde tatsächlich erhöht. Das Brot war aber immer Bio – bloss ging vergessen, das zu deklarieren. Sonia Moser tippt im Auswahlmenü des Tablets den Punkt «Preis verifiziert. OK» an. Die Farbe wechselt von Rot auf Grün.
Wird ein Produkt aus dem Sortiment gekippt, muss ein Ersatz her
Das nächste Problem taucht beim Haselnuss-Makrönli auf. Es wurde aus dem Sortiment gekippt. Moser sucht nach einem Ersatz und wird rasch fündig: Der Spitzbueb kostet fast gleich viel und ist ein vergleichbares Produkt. Die Überlegung dahinter: Ein Kunde, der im Gestell kein Haselnuss-Makrönli entdeckt, würde wohl den Spitzbueb wählen. Unbeachtet bleiben die Schokoladen-Osterhasen. Artikel, die nur für kurze Zeit im Sortiment sind, finden keinen Eingang in den Landesindex.
Der Index basiert auf den Preisen von 1150 Produkten und Dienstleistungen. Diese werden mehrmals pro Jahr in verschiedenen Läden erfasst.
Lebensmittel und alkoholfreie Getränke machen 330 Positionen des Warenkorbs aus. Einige sind genau definiert, so etwa «Schweizer Eier Freiland». Ein «Milchdessert» hingegen kann Milchreis, Griesstöpfli oder Schokocrème umfassen. Hier haben die Preiserheber einen gewissen Spielraum und müssen eine Auswahl treffen.
Die Grossverteiler Migros, Coop, Manor und Volg beliefern das Bundesamt für Statistik direkt mit den Preisen ihrer Ladenkassen. Deshalb verzichtet das Bundesamt auf die eigene Erhebung dieser Preise.
Preiserheber klappern 650 Läden in der ganzen Schweiz ab
Andere Preise erfasst es landesweit in 650 Verkaufsstellen – meist im Monatsrhythmus. Die Auswahl der Läden umfasst nicht nur grosse Ladenketten, sondern auch Bäckereien oder Lebensmittelgeschäfte, die für eine Region von Bedeutung sind. In den Kantonen Neuenburg und Bern ermittelt das Bundesamt die Preise in gewissen selbst, in den übrigen Regionen erledigt dies das Marktforschungsinstitut GFK.
Sonia Moser hat die Lebensmittelpreise abgehakt und steuert die Abteilung für Kinderkleider an. Erfahrungsgemäss gibt es bei der Kleidererfassung viel zu notieren. Das geht von Hand effizienter als mit dem Tablet. Anfang März ist der Winter-Ausverkauf vorbei, aber erst ein Teil der Sommerkollektion im Laden. Schon beim ersten Artikel stösst sie auf Probleme: Die Synthetik-Sommerjacke für Buben, die sie während der letzten Saison erfasst hatte, fiel aus dem Sortiment. Ein Ersatz muss her. Sie findet eine Jacke, die ebenfalls zu 100 Prozent aus Polyester besteht. Sie trägt aber eine andere Marke und der Preis ist über 25 Prozent günstiger. Deshalb erhält die neue Jacke den Code 11. Das heisst: «Ersetzt, aber nicht direkt vergleichbar.»
Bei vielen Textilien findet Sonia Moser kaum Preisänderungen
Relativ wenig Arbeit hat Moser mit der Erfassung der Preise von Jeans, Pyjamas und Unterwäsche für Kinder. Hier gibt es kaum Preisänderungen. Von den 36 erfassten Kleidungsstücken muss sie 13 durch neue austauschen. «Das ist normal nach dem Ausverkauf», sagt Moser.
An einem Vormittag insgesamt 137 Preise aktualisiert
Wieder wechselt die Preiserheberin die Abteilung. Im zweiten Stock sind die Damenschuhe. Bei acht Paar Schuhen – von Pumps über Sneakers bis zu Stiefeln – liest sie die Preise ab. Sie sind mal höher, mal tiefer als im Vormonat. Ein klarer Trend lässt sich nicht ausmachen. Für zwei Paar Schuhe auf ihrer Liste muss sie Ersatz finden.
Der Augenschein zeigt: Der Job der Preiserhebung ist anspruchsvoll und erfordert volle Konzentration.
Es ist schon nach zwölf Uhr. Sonia Moser hat 137 Preise erhoben. Jetzt steht noch die Preiserfassung von Damenkleidern bei Globus und bei Benetton auf dem Programm. Vorher gönnt sie sich ein Mittagessen.
Teuerungstreiber wie Krankenkassen fehlen
Der Landesindex der Konsumentenpreise dient oft dazu, Löhne und Renten an die Teuerung anzupassen. Doch dazu eignet er sich eigentlich nicht. Denn wichtige Teuerungsfaktoren werden nicht erfasst.
Der Index misst anhand eines repräsentativen Warenkorbes die Teuerung der von Haushalten konsumierten Waren und Dienstleistungen. Der Index zeigt die durchschnittliche Preisentwicklung auf.
Um die Preisentwicklung nachzeichnen zu können, erfasst die Sektion Preise des Bundesamtes für Statistik pro Jahr rund 840000 Preise von Artikeln und Dienstleistungen – durchschnittlich 70000 pro Monat. Viele Preise werden monatlich erhoben. Bei Dienstleistungen von Coiffeursalons oder Autowerkstätten erfolgt die Aktualisierung pro Quartal, bei Preisen für Telekommunikation oder öffentlichen Verkehr halbjährlich oder jährlich.
Zur Berechnung des Indexes werden die verschiedenen Waren und Dienstleistungen gewichtet. Basis für die Gewichtung sind die Ausgaben von 3000 zufällig ausgewählten Modellhaushalten der Schweiz. Die Warengruppe Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke zum Beispiel gewichtet das Bundesamt im Warenkorb mit 10,3 Prozent. Der Warenkorb muss immer wieder angepasst werden, da sich Produkte und Konsumgewohnheiten im Laufe der Zeit ändern.
Die vom Landesindex erfasste Teuerung stimmt für sehr viele Haushalte nicht. Denn wichtige Kostentreiber fehlen: So sind unter anderem die jährlich um mehrere Prozente steigenden Krankenkassenprämien nicht im Index enthalten (saldo 3/13). Auch andere gewichtige Ausgabeposten wie Sozialabgaben und Steuern werden nicht berücksichtigt. Das bestätigt Reto Müller vom Bundesamt: Der Landesindex sei kein Lebenshaltungskostenindex.
Das erklärt, warum der Index seit Jahren sinkt, die Haushaltsausgaben aber oft steigen. Müller empfiehlt deshalb, bei Lohnverhandlungen nicht nur den Landesindex der Konsumentenpreise, sondern auch den Index der Krankenversicherungsprämien anzusprechen.