Vier Kühe, acht Geissen, fünfzehn Schafe: Gross war das Heimetli der Familie im Berner Oberland nicht. Elf Hektaren mit stotzigen Hängen und ein bisschen Pachtland. Es reichte kaum zum Überleben. Die fünf Kinder mussten kräftig mitanpacken. «Mein Vater war nach einem Unfall in jungen Jahren schwer gehbehindert», erzählt die 51-jährige Klägerin dem Einzelrichter des Regionalgerichts Oberland in Thun. Sie spricht respektvoll über die Eltern. Dennoch wird klar, wie schwierig alles war. Warum lehnte der Vater einen leichteren Bürojob ab? «Er sagte, er sei Bauer. Schluss. Etwas anderes gab es für ihn nicht.»
Die drei älteren Schwestern zogen eine nach der anderen aus: Lehre, Welschlandaufenthalt, ein guter Job auswärts. Sie selbst habe eine Mechaniker- oder Metzgerlehre angepeilt, erzählt die 51-Jährige. Doch sie wurde vertröstet. Zuerst sei der jüngere Bruder mit seiner Maurerlehre an der Reihe, hiess es. Nachher werde er den Hof übernehmen, dann könne sie eine Ausbildung beginnen. Sie arbeitete ohne Lohn daheim.
Die Eltern hätten ihr «die Pistole auf die Brust gesetzt», sagt die Frau: «Sie drohten mir, dass sie den Betrieb aufgeben und aufs Sozialamt müssten, wenn ich eine Lehre machen würde.» Der Bruder entschied sich nach der Lehre, den Hof doch nicht zu übernehmen, sondern einen zweiten Beruf zu erlernen. Wieder war die Klägerin die Lückenbüsserin, wie nach dem Tod des Vaters. Sie arbeitete auf dem Hof. Im Winter, wenn es weniger zu tun gab, ging sie jobben.
Der geforderte Betrag deckt 18 Jahre Arbeit ab
Vor Gericht fordert die 51-Jährige für ihre Arbeit nachträglich 83 000 Franken Lohn von der Mutter. Diese lebt inzwischen mit einer Demenz im Pflegeheim. Die Erwachsenenschutzbehörde hat eine Beiständin eingesetzt, welche die 84-Jährige im Prozess vertritt. Die Tochter stützt ihre Forderung auf die Bestimmung über den sogenannten Lidlohn im Schweizerischen Zivilgesetzbuch. Dort sind die Ansprüche volljähriger Kinder geregelt, die zu Hause unentgeltlich mitgearbeitet haben. Der Anwalt der Klägerin erläutert, der Betrag decke rund 18 Jahre unentgeltlicher Arbeit auf dem Bauernhof ab, abzüglich Kost und Logis. Spezialisten der landwirtschaftlichen Fachstelle Inforama hätten den Betrag errechnet, pro Monat im Durchschnitt knapp 400 Franken.
Die Beiständin der Mutter ist mit einer Anwältin gekommen. Sie beantragen die Abweisung der Forderung. Es sei nicht hinreichend belegt, dass sich alles so zugetragen habe.
Nach der Mittagspause sagen die Geschwister als Zeugen aus. Die Älteste meint frostig, sie könne «das ganze Theater» nicht nachvollziehen: «Wir haben alle angepackt, mir käme es im Schlaf nicht in den Sinn, im Nachhinein Geld zu verlangen.» Keines der vier Geschwister will eingestehen, dass die Zweitjüngste viel mehr geleistet hat. Die Wende kommt, als der Bauer vom Nachbarhof in den Zeugenstand tritt. Die Klägerin habe den Hof fast allein geschmissen, sagt er: «Ohne sie wäre es schlichtweg nicht weitergegangen.»
Der Einzelrichter hält die Klage für gerechtfertigt. Er schlägt einen Vergleich vor: Die Klägerin soll auf die Hälfte der Forderung verzichten. Im Gegenzug soll das Landwirtschaftsland von der Mutter auf die 51-Jährige überschrieben werden. So erhalte sie rasch etwas, begründet der Richter. Andernfalls könnte sich der Prozess hinziehen. Selbst wenn sie den Fall gewinne, sei bis dahin wohl alles Vermögen für die Pflegeheimkosten aufgebraucht.
Der Vergleich findet die Zustimmung der Erwachsenenschutzbehörde. Dann aber stellen sich die Geschwister quer. Sie nehmen einen Anwalt und ziehen die Sache an die nächste Instanz, das Obergericht. Dort blitzen sie ab. Erst danach erhält die 51-Jährige das Land. Sie setzt auf Selbstversorgung für die Familie mit zwei, drei Kühen. Und vielleicht ein paar Alpakas.
Mitarbeit im Familienbetrieb: Das steht Kindern zu
Arbeiten erwachsene Kinder im Betrieb der Eltern mit, haben sie laut Zivilgesetzbuch Anspruch auf eine angemessene Entschädigung. Im Streitfall entscheidet das Gericht über die Höhe des Betrags.
Häufig hilft auch ein Ehegatte dem anderen in dessen Betrieb, wenn dieser selbständig ist. Für diese Hilfe besteht kein Anspruch auf Lohn, sofern die Partner nichts anderes vereinbart haben. Denn laut Gesetz sind die Eheleute verpflichtet, einander zu unterstützen. Nur wenn der Partner erheblich mehr mitarbeitet, als es von einem Ehegatten erwartet werden darf, hat er ebenfalls Anspruch auf eine Entschädigung. Die Eheleute können die Höhe der Entschädigung in einem Arbeitsvertrag regeln. Das empfiehlt sich umso mehr, je mehr der Gatte im Familienbetrieb mithilft.