Moritz Rölli (Name geändert) aus Fischbach AG verstand die Welt nicht mehr, als er am 26. Juni 2019 eine Abrechnung seiner Bank erhielt. Sie hatte ihm 60 Aktien des US-Unternehmens Nvidia ins Depot gelegt. Nvidia stellt Computerbestandteile her. Rölli hatte der Bank nie einen Auftrag für den Kauf solcher Papiere erteilt.
Was war passiert? Rölli hatte Mitte März 2018 in einer Zeitung ein Inserat gesehen. Eine Bank warb für ein Produkt mit dem Namen «13 % p.a. Multi Barrier Reverse Convertible». Dabei handelt es sich um ein strukturiertes Produkt von Leonteq. Anleger gewähren der Bank für eine bestimmte Laufzeit ein Darlehen – hier zu einem Jahreszins von 13 Prozent.
Doch die Anlage enthielt folgende Klausel: Sinkt eine der Aktien von Nvidia, des US-Filmriesen Netflix oder des Computer-Chips-Herstellers Applied Materials bis zum Ablaufdatum des Darlehens um mehr als 50 Prozent, musste Rölli gemäss den Rückzahlungsbedingungen die schlechteste Aktie des Produkts übernehmen – als Rückzahlung des Darlehens. Dieser Fall trat ein: Rölli erhielt die Titel von Nvidia im damaligen Gegenwert von rund 8700 Franken. Unter dem Strich bekam er für seine investierten 20 000 Franken inklusive Zins von 2900 Franken gerade noch rund 11 600 Franken zurück.
Trotzdem investierte Rölli im Juni 2019 nochmals 20 000 Franken in ein weiteres strukturiertes Produkt, einen «11,35 % Multi Barrier Reverse Convertible», ebenfalls von Leonteq. Das Zinsversprechen war wiederum gross, die Rückzahlung des Darlehens diesmal aber an die Entwicklung der Aktien der Unternehmen AMS, Garmin und Logitech gebunden. Konkret: Falls solche Aktien mehr als 50 Prozent an Wert verlieren, erhält der Kunde statt Geld die Aktien. So steht es im Inserat und im sogenannten Termsheet (Produktebeschrieb).
Strukturierte Produkte werden nicht von der Finma kontrolliert
Rölli verlor wieder Geld. Ende Dezember erhielt er einen Zins von 373 Franken gutgeschrieben. Dazu musste er 220 Aktien des Halbleiterproduzenten AMS im Wert von 8800 Franken übernehmen, weil der Kurs unter die Barriere gefallen war. Diesmal betrug der Verlust rund 10 800 Franken – mehr als die Hälfte der Anlage.
Moritz Rölli ist kein Einzelfall. Solche Finanzprodukte lohnen sich vor allem für die Banken, die sie entwickeln und auf den Markt werfen. Die Finanzinstitute können sie viel schneller auf den Markt bringen als etwa Fonds. Letztere werden von der Finanzmarktaufsicht Finma kontrolliert – strukturierte Produkte hingegen nicht.
Viele Anleger verloren Geld mit strukturierten Produkten
Auch die Migros-Bank mischt im lukrativen Geschäft mit komplizierten und für die Kunden teilweise unübersichtlichen Anlagen mit. Sie begnügt sich nicht mit Inseraten, sondern schreibt mögliche Anleger direkt an. Einer davon war Martin G. aus dem Kanton Bern. «Suchen Sie eine alternative Anlage mit der Chance auf mehr Ertrag?», fragte ihn die Bank in ihrem Brief vom 7. Februar 2020.
Sie empfahl darin ein Produkt mit 5,04 Prozent Jahreszins und Rückzahlung am 14. Februar 2023. Der Anleger erhält sein Geld samt Zins aber nur zurück, wenn keine der Titel Nestlé, Roche, Novartis, UBS und CS um 30 Prozent oder mehr fallen. Sonst erhält der Kunde die schlechteste Aktie und den Zins. Zum Vergleich: Zwischen April 2007 und Dezember 2008 büsste die CS-Aktie über 67 Prozent ihres Wertes ein.
Im Jahr 2018 wurde die Barriere jedes dritten strukturierten Produktes verletzt. Das heisst, die Anleger machten einen Verlust. Das stellte das VZ Vermögenszentrum fest, nachdem es über tausend Kundendepots untersucht hatte.
Moritz Rölli hat seine Lehren gezogen. «Ich verstehe jetzt, wie solche Produkte funktionieren», sagt er. «Ich werde nie wieder so etwas kaufen.»