Bei Fahrten übers Land fallen dem Biologen Markus Jenny oft Öko-Wiesen an schattigen, feuchten Waldrändern auf – dort, wo sie wenig nützen. Denn die meisten Tierund Pflanzenarten bevorzugen trockene, sonnige Standorte. Jenny war jahrzehntelang bei der Vogelwarte Sempach für Biodiversitätsprojekte verantwortlich. Er sagt: «Viele Bauern verstehen den Sinn der Biodiversitätsflächen zu wenig. Sie legen sie dort an, wo es am wenigsten wehtut. Nicht dort, wo sie nützen würden.»
Die Artenvielfalt ist gefährdet. Jede dritte Pflanzen- und Tierart ist laut dem Bundesamt für Umwelt ausgestorben oder bedroht. Schuld daran ist auch die Landwirtschaft. Die Natur leidet unter zu vielen Pestiziden, zu viel Dünger und zu intensiver Bewirtschaftung. «Die Wiesen werden immer früher im Jahr und häufiger gemäht», sagt Jenny. «Vögel wie die Feldlerche, die am Boden brüten, nahmen in den letzten 30 Jahren auch deshalb um mehr als die Hälfte ab.»
Die Artenvielfalt sei eine «wichtige Grundlage für unsere Ernährung», schreibt das Bundesamt für Umwelt. «Wild lebende Arten erbringen unerlässliche Leistungen. Sie halten Schädlinge unter Kontrolle, bestäuben Pflanzen, erhöhen die Erntestabilität.» Der Bund unterstützt deshalb Landwirte, die etwas für die Artenvielfalt tun. 2022 erhielten sie total 443 Millionen Franken Biodiversitätsbeiträge: Das entspricht etwa einem Sechstel aller landwirtschaftlichen Subventionen.
Pro Jahr und Hektare erhält ein Bauer etwa für eine Wiese, die weniger intensiv genutzt wird, zwischen 450 und 2920 Franken und für eine Hecke 2160 bis 3840 Franken. Im Durchschnitt kassiert ein Hof gut 9200 Franken Biodiversitätsbeiträge pro Jahr. 500 Bauern erhielten laut dem Bundesamt für Landwirtschaft 2022 mehr als 50'000 Franken.
Viele Landwirte betreiben «Beitragsoptimierung»
Der Bauernverband betont, die Bauern würden bereits auf 19 Prozent ihrer Felder die Artenvielfalt fördern. Vorgeschrieben seien nur 7 Prozent. Diese Zahlen sind richtig – doch sie täuschen. Denn die Wirkung der Biodiversitätsgelder ist laut dem Bundesamt für Landwirtschaft ungenügend. Schärfer formulierte es die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats 2021: Die Wirkung sei «ganz klar unzureichend». Ein Grund für den Missstand: Die Bauern können die Ökoflächen frei wählen.
Viele würden sich für «ungeeignete Standorte wie schattige oder nährstoffreiche Flächen» entscheiden, schreibt das Bundesamt und bestätigt damit die Beobachtungen des Biologen Jenny. Gemäss der Forschungsanstalt Agroscope sind drei Viertel der subventionierten Biodiversitätsflächen ökologisch kaum wertvoller als normale Wiesen. Nur 4 Prozent der Landwirtschaftsfläche sind wirklich artenreich – fast ein Fünftel der Zahl, die der Bauernverband nennt. Nötig wäre mindestens das Doppelte.
Dazu kommt: Manche Bauern betreiben «Beitragsoptimierung», sagt Jenny: «Sie pflanzen in grosser Zahl hochstämmige Obstbäume an ungeeigneten Standorten wie Ackerflächen.» Pro gepflanzten Baum erhalten die Bauern bis zu Fr. 36.50 – auch wenn dieser nach einigen Jahren wieder gefällt wird.
Bauernlobby torpediert Massnahmen zum Artenschutz
Manchmal fehlt es auch an Sachverstand. So werden etwa Vogelhäuschen in kleinen Abständen in einer Reihe aufgestellt. Das Problem: Die meisten bleiben leer, da die Vögel das Revier rund um ihr Häuschen verteidigen. Die ständerätliche Geschäftsprüfungskommission forderte vom Bundesrat, auf die «tatsächliche Wirkung» der Biodiversitätssubventionen zu achten.
Doch passiert ist wenig. Der Bundesrat wollte 2021 die Anforderungen an die Ökoflächen erhöhen und die Beratung für Bauern verbessern, doch auf Initiative der Bauernlobby lehnte das Parlament dies ab. Das Parlament machte im Juni auch die bereits beschlossene Einführung von 3,5 Prozent Ökoflächen auf Äckern rückgängig («K-Tipp» 10/2023). Heute dient nur ein einziges Prozent der Ackerfläche dem Artenschutz.
Bauern im Schaffhauser Klettgau zeigen, wie man es besser machen kann: Sie legten in den letzten 30 Jahren gemeinsam mit der Vogelwarte Sempach auf bis zu 14 Prozent ihrer Ackerfläche Brachen und Blumenstreifen an. Die Artenvielfalt stieg dadurch deutlich: Schwarzkehlchen, Feldhasen und seltene Ackerkräuter nahmen zu. Für die Bauern lohnt sich das auch finanziell: Die Subventionen für diese Ökoflächen können höher sein als die Erträge der meisten Ackerkulturen.
Biodiversitätsinitiative: Darüber wird abgestimmt
Am 22. September kommt die Volksinitiative «Für die Zukunft unserer Natur und Landschaft» zur Abstimmung. Bund und Kantone müssen gemäss Initiativtext die «zur Sicherung und Stärkung der Biodiversität erforderlichen» Flächen und Mittel bereitstellen, schutzwürdige Landschaften bewahren und Natur und Landschaft auch ausserhalb der Schutzobjekte schonen. Konkrete Zahlen oder Massnahmen nennt die Vorlage nicht. Die Initiative wurde von Umwelt- und verschiedenen Naturschutzorganisationen lanciert.