Nicht weniger als 90 Prozent der Bauern im Thurgau verstossen gegen den Gewässerschutz: Sei es mit den Misthaufen und Güllegruben oder der Entwässerung ihrer Hofplätze. Das ist das Ergebnis von 2300 Kontrollen, die der Kanton seit dem Jahr 2011 durchgeführt hat. In 15 Prozent der Fälle stellten die Kontrolleure grosse Mängel fest: Sie entdeckten etwa offene Schächte auf dem Hofplatz, durch die Abwasser direkt in einen Bach fliesst. Jede zweite Hofdüngeranlage wies mittlere Mängel auf, etwa indem Abwasser vom Vorplatz in die Regenwasserleitung abfliesst. Bei jeder vierten Anlage fanden sich kleinere Mängel wie Schäden an der Güllegrube. So kann Gülle ins Trinkwasser gelangen.
Wie steht es um den Gewässerschutz auf Bauernhöfen in andern Kantonen? Das Bundesamt für Umwelt sagt auf Anfrage von saldo: «Wir haben keinen Überblick.» Zurzeit laufe eine Umfrage bei den Kantonen. Auch die Konferenz der Landwirtschaftsdirektoren weiss nicht mehr.
Das ist erstaunlich: Denn das Gewässerschutzgesetz schreibt den Kantonen seit 1992 vor, die Hofdüngeranlagen regelmässig zu prüfen. Konkret muss kontrolliert werden, ob der Mist korrekt gelagert ist und Güllegruben unten dicht sind. Geprüft werden muss auch, ob die Lager genug Fassungsvermögen für die gehaltenen Tiere haben und wohin die Abwässer fliessen. Laut dem Bundesamt für Umwelt sollten die Kantone Hofdüngeranlagen in der Nähe von Grundwasserfassungen alle fünf Jahre kontrollieren, die übrigen alle zehn Jahre. Der Bund hat die Oberaufsicht.
Bern: «In 15 bis 20 Jahren sind wir fertig»
saldo fragte bei den Kantonen nach. Fazit: Viele foutieren sich um die Kontrollpflicht. Nur die Kantone Aargau, St. Gallen und Zürich kontrollierten alle oder fast alle Hofdüngeranlagen: In Zürich war jede zweite mangelhaft, in St. Gallen jede dritte, im Aargau jede fünfte. In Baselland komme jeder Betrieb bei Kontrollen nur alle 20 Jahre an die Reihe, in Basel-Stadt alle 10 Jahre. Die beiden Appenzell, Graubünden, Schaffhausen und Zug begannen erst mit systematischen Kontrollen. Solothurn will dieses Jahr starten. Bern hat bisher ganze 50 der 44 000 Güllengruben inspiziert. In «15 bis 20 Jahren» sei man damit fertig. Die Kantone Genf, Luzern, Nidwalden, Obwalden, Schwyz und Uri führen keine systematischen Kontrollen durch. Sie prüfen aber routinemässig die Lagerkapazitäten. Der Kanton Jura führte 2002 letztmals Kontrollen durch. Die übrigen Kantone machten keine konkreten Aussagen oder antworteten nicht.
Mit dem Umweltschutz nehmen es die Behörden generell nicht genau. Eine Studie des Bundesamts für Umwelt stellte 2013 fest, dass es grosse behördliche «Vollzugsdefizite» beim Schutz des Grundwassers, der Reinhaltung der Gewässer und anderen Umweltgesetzen gibt: Der Vollzug hapere «besonders stark» in den Bergkantonen, in der West- und in der Südschweiz. «Bei den politischen Behörden» gebe es häufig eine «mangelnde Akzeptanz der Gesetzgebung».
Marcel Liner von der Naturschutzorganisation Pro Natura findet diese «weit verbreitete Untätigkeit der Behörden erschreckend». Der Druck der Agrarlobby sei oft hoch, weniger als vorgeschrieben zu kontrollieren. Die Bauerorganisationen vernachlässigten den Gewässerschutz und redeten das Fehlverhalten der Mitglieder schön.
Der Bauernverband geht davon aus, dass die Kontrollen funktionieren. Im Thurgau seien nur wenige Mängel wirklich schwerwiegend. «Gravierende Mängel bei Hofdüngeranlagen» seien «unverzüglich zu beheben».
Mehrere Studien zeigen, dass die Bauern einen grossen Teil der Verschmutzungen in Flüssen, Bächen und im Grundwasser zu verantworten haben (siehe Kasten). Laut dem Bundesamt für Umwelt gehört der unkorrekte Umgang mit Hofdünger zu den «häufigsten Verstössen gegen das Umweltrecht». Grundwasserexperte Daniel Hartmann hält vor allem zu kleine Güllegruben und Mistlager für ein Problem: Viele Bauern halten heute mehr Vieh als früher, ohne ihre Hofdüngeranlagen erweitert zu haben. Diese müssen laut Gesetz Gülle und Mist für mindestens drei Monate fassen können. In Deutschland müssen alle Betriebe eine Güllelagerkapazität von mindestens sechs Monaten ausweisen.
Gewässerverschmutzer kaum belangt
Wer Gewässer verschmutzt, hat wenig zu befürchten. Bussen und gekürzte Direktzahlungen sind selten, wie die saldo-Umfrage zeigt: Im Kanton Zürich gab es letztes Jahr eine einmalige Kürzung von Subventionen um 1000 Franken wegen einer mangelhaft abgedeckten Mistdeponie. Der Kanton Luzern kürzte 3 Landwirten wegen baulicher Mängel und 15 Bauern wegen Gewässerschutzvergehen die Direktzahlungen im Durchschnitt um 1000 Franken. Die Kantone GR, AG, NW, SH, SO, BS und UR büssten niemanden. Im Kanton Thurgau bekamen in den letzten zwei Jahren 19 Bauern Bussen. 11 Landwirten wurden die Direktzahlungen um durchschnittlich 1300 Franken gekürzt.
Gefahr für Trinkwasser, Bäche und Flüsse
Über 60 Prozent des Grundwassers unter Ackerland enthalten laut dem Bundesamt für Umwelt zu hohe Mengen an Nitrat, Pestizidrückständen und Abbauprodukten aus der Landwirtschaft. Auch 25 Prozent des Grundwassers unter Siedlungsgebieten sind entsprechend verschmutzt. Die Folge: Selbst im Trinkwasser finden sich Stoffe, die dort nicht hingehören, etwa Spuren von Unkrautbekämpfungsmitteln wie Atrazin oder S-Metolachlor (saldo 8/15). Daneben gelangen Gülle und Pestizide auch in Bäche, Teiche und Flüsse. Laut einer Studie des Bundesamts für Umwelt von 2015 können diese «Mikroverunreinigungen» Wasserlebewesen schädigen.