Von den im Jahr 2013 auf Schweizer Strassen verletzten und getöteten rund 8000 Autolenkern waren laut Unfallstatistik 45 Prozent Frauen. Dabei fuhren Frauen laut Unfallexperten nur etwa ein Drittel der zurückgelegten Autokilometer. Uwe Ewert von der Beratungsstelle für Unfallverhütung zieht daraus den Schluss: «Frauen werden in der Schweiz bei gleich schweren Unfällen mit einer bis zu 50 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit verletzt oder getötet als Männer.» Besonders heikel ist es laut Statistik für eine Frau, in einen schweren Unfall auf der Autobahn zu geraten. Sie hat ein fast doppelt so hohes Risiko, sich zu verletzen oder getötet zu werden wie ein Mann.
Bei schweren Unfällen ein markant höheres Sterberisiko
Mehrere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen: 35-jährige Frauen haben bei gleich schweren Autounfällen ein bis 30 Prozent höheres Sterberisiko als gleichaltrige Männer, stellte die US-Verkehrssicherheitsbehörde 2013 in einem Report fest. Eine Studie der Universität von Virginia kam 2011 zum Schluss, dass für Fahrerinnen bei Unfällen das Risiko, eine schwere Verletzung zu erleiden, 47 Prozent höher ist als für Männer.
Die meisten Forscher sehen den Hauptgrund dafür darin, dass Frauen in der Regel leichter, kleiner und weniger muskulös sind als Männer. Bei Kollisionen erleiden sie so leichter Halswirbelverletzungen, da ihr Nacken weniger durch Muskeln geschützt ist. Sie verletzen sich eher an Brust und Kopf, da sie meist kleiner sind, weiter vorne sitzen und bei Frontalkollisionen schneller gegen Lenkrad oder Airbag prallen.
Sicherheitssysteme bieten Frauen weniger Schutz
Dazu kommt, dass laut Volker Sandner, Unfallexperte des deutschen ADAC, «die Sicherheitssysteme so ausgelegt sind, dass sie einen Durchschnittsfahrer optimal schützen». Diesen stellen sich Hersteller und Gesetzgeber als einen 75 Kilogramm schweren, 1,75 Meter grossen Mann von 30 bis 40 Jahren vor. Die Hersteller führen gemäss gesetzlichen Normen das Gros ihrer Crashtests mit entsprechend gestalteten Dummys durch.
Laut Sandner gibt es umso mehr Sicherheitsprobleme, «je weiter sich ein Fahrer oder Beifahrer von diesem Ideal entfernt».
Beispiel: Bei Heckkollisionen haben Frauen ein bis zu dreimal höheres Risiko einer Verletzung der Halswirbelsäule als Männer. Autositze sind oft nicht elastisch genug für Frauen. Die Sicherheitssysteme bieten auch Senioren zu wenig Schutz, deren Körper mit dem Alter fragiler wird.
Ein US-Gesetz schreibt den Herstellern Crashtests mit weiblichen Dummys vor. Die US-Verkehrssicherheitsbehörde führt seit 2003 ebenfalls solche Tests durch und veröffentlicht die Ergebnisse unter www.safer car.gov.
In Europa und der Schweiz ist das Mass aller Sicherheitstechnik im Auto unverändert der Mann. Die Gesetze verlangen von den Herstellern keinen Zusatzschutz für verletzlichere Benützer. EuroNCAP will das nun ändern: Die Autotest-Organisation der europäischen Konsumentenschutzverbände verwendet seit Anfang Jahr erstmals für einige Crashtests Dummys mit weiblichen Massen. Es handelt sich um eine mit Sensoren gespickte, 1,52 Meter grosse und 54 Kilo schwere Puppe.
Die Tester untersuchen, wie gut Airbags und Gurten bei Frontalkollisionen schützen. Sie achten laut Sandner besonders auf die Sicherheit auf der Rückbank, wo sich die Industrie gerne Gurtkraftbegrenzer und Straffer spart. Er glaubt, dass «schlechte Testergebnisse viele Hersteller zwingen werden, nicht mehr nur das Billigste einzubauen».
Das ist ein Anfang. Für Seiten-Crash-Tests gibt es noch kein fertiges weibliches Dummymodell. Für Tests, die Auffahrunfälle simulieren, existiert ein Prototyp. Laut Markus Muser von der Arbeitsgruppe für Unfallmechanik Zürich «zeigen die Dummyhersteller kein Interesse, diesen in Serie zu bauen». Ohne gesetzliche Testpflicht fehlen die Käufer.