Einer Autolenkerin aus dem Kanton Thurgau fiel auf, dass immer nur ihr Auto geblitzt wurde, wenn sie in einer Kolonne fuhr. Der Grund konnte also nicht bei der Geschwindigkeit liegen. Auch sonst war sie sich keiner Verletzung einer Verkehrsregel bewusst. Als sie sich bei der Polizei erkundigte, hiess es, die Autonummer sei registriert. Grund: Ihrem Mann war der Fahrausweis nach einer Herzoperation vorübergehend entzogen worden. Die Scanner der Polizei hatten die Autonummer mit einer Datenbank abgeglichen, in der Ausweisentzüge vermerkt sind.
Das Anliegen der Polizei, Fahrer ohne Ausweis aus dem Verkehr zu ziehen, ist sicher berechtigt. Doch die Eidgenössische Zollverwaltung und zehn Kantone überwachen alle Autofahrer – in der Hoffnung, Fehlbare zu erwischen. Im Kanton Thurgau beispielsweise wurden in den ersten Monaten nach Inbetriebnahme der Scanner Ende 2011 rund 830 000 Kontrollschilder erfasst. Daraus resultierten 3262 Treffer. Sie führten jedoch nur in 166 Fällen zu Polizeiaktionen. Eine kleine Trefferquote.
Bundesgericht pfiff den Kanton Thurgau zurück
Das Bundesgericht beurteilte im vergangenen Oktober einen Fall aus dem Thurgau. Sein Verdikt war klar: Die Aufzeichnungen der automatischen Fahrzeugfahndung seien gerichtlich nicht verwertbar. Es fehle an einer gesetzlichen Grundlage. Ein Abgleich der Aufnahmen mit Datensammlungen des Kantons ermögliche das Erstellen von Persönlichkeits- und Bewegungsprofilen – ohne dass es einen Anlass oder konkreten Verdacht für eine Verkehrsregelverletzung gebe.
In anderen Kantonen werden die Autolenker nach wie vor und ohne ihr Wissen mit fest installierten oder mobilen Scannern permanent überwacht: Aargau, Bern, Baselland, Freiburg, Nidwalden, Obwalden, Solothurn, Schwyz, Tessin und Wallis. Überwacht werden kann man überall – von der Quartierstrasse bis zur Autobahn. Zwölf Kantone sowie die Zollverwaltung sind laut dem Bundesamt für Polizei autorisiert, die Daten der Scanner mit der Fahndungsdatenbank Ripol abzugleichen. Die Ripol-Datenbank enthält unter anderem Informationen zu gesuchten Personen, gestohlenen Fahrzeugen und Ausweisentzügen.
Mit Abstand die meisten Autonummernscanner hat die Zollverwaltung im Einsatz: rund 300. Autofahrer werden damit von der Grenze bis zu 25 Kilometer ins Landesinnere überwacht. Martin Steiger vom Verein Digitale Gesellschaft kritisiert: «Im Schatten von Geheimdienst und Polizei betreibt die Zollverwaltung ihre eigene Massenüberwachung – ohne Anlass und konkreten Verdacht.» Eine gesetzlich abgestützte Überwachung müsste auch verhältnismässig sein.
Viktor Györffy, Rechtsanwalt und Präsident des Vereins Grundrechte.ch, ergänzt: «Es müsste im Gesetz geregelt sein, was mit den Daten passiert, wofür sie verwendet und mit welchen Daten sie verknüpft werden. Das ist hier nicht der Fall. Deshalb dürften die Daten nicht genutzt werden.» Mit diesen Vorwürfen der Experten konfrontiert, schreibt die Zollverwaltung: «Die Datenbearbeitung erfolgt zu den in Gesetz und Verordnung vorgesehenen Zwecken und ist nach unserer Auffassung verhältnismässig. Ebenso erachten wir die Rechtsgrundlage als genügend.»
Auch in einzelnen Kantonen steht die Überwachung rechtlich auf wackligen Beinen. Aargau, Solothurn oder Freiburg stützen den Einsatz ihrer Scanner bloss auf das Bundesgesetz über polizeiliche Informationssysteme. Laut Györffy reicht das nicht: «Es muss im kantonalen Recht klar festgeschrieben sein, dass mit mobilen Scannern kontrolliert wird und die Nummern mit einer Datenbank abgeglichen werden.»
Überwachung: Die Rechte der Autolenker
Autofahrer erfahren meist nichts davon, wenn sie von einem automatischen Nummernscanner fotografiert werden. Der Zoll speichert die Aufzeichnungen einen Monat lang. Bei der Oberzollverwaltung kann man Einsicht in die Fotos verlangen. Ein Einsichtsgesuch ist im Internet unter www.saldo.ch/oberzolldirektion aufgeschaltet.
Die Kantonspolizeien speichern laut eigener Auskunft keine Daten, sofern keine Fahndung läuft. Doch bei einem Eintrag in der Polizeidatenbank schlägt ein Nummernscanner Alarm. Betroffene können bei der Polizei Akteneinsicht verlangen und nachfragen, auf welches Gesetz sich die Überwachung stützte. Ohne hinreichende gesetzliche Grundlage ist das Foto unverwertbar. Betroffene können dann die Löschung der Bilder verlangen. Gegen einen Strafbefehl kann man innert zehn Tagen Einsprache erheben.