Der Chef habe sie angeschrien, sie solle heimgehen, «jetzt sofort». So schildert die Klägerin dem Einzelrichter des Bezirksgerichts Münchwilen TG den letzten Arbeitstag. Eine Kollegin habe sie in den Arm genommen, geweint.
Der Richter bohrt nach: Was genau war der Anlass? «Die Maschine war nicht richtig eingestellt und ich zeigte dem Chef, dass sie fehlerhafte Produkte ausstiess», erklärt die nun arbeitslose Italienerin dem Dolmetscher, der die Aussage auf Deutsch übersetzt. Seit der fristlosen Entlassung sind acht Monate verstrichen. Lohn erhielt sie keinen mehr. Der Chef verweigerte ihr sogar ein Arbeitszeugnis. Er schickte ihr nur eine Bestätigung über die Dauer des Arbeitsverhältnisses.
Ganz anders stellt es der Beklagte dar. Er ist Inhaber des Betriebs. Energisch holt der Mann Mitte vierzig aus. Er schildert den Preisdruck, seine Rationalisierungspläne und die hohen Investitionen in schnellere Maschinen. Der Richter nickt. Erst dann kommt der Chef auf die Sache zu sprechen. «Ihr Problem war», erzählt er mit Blick auf seine ehemalige Angestellte, «dass ich ihre Kompetenzen an der Maschine einschränkte.» Er habe ihr untersagt, die Einstellungen der Maschine zu verändern. Sie habe diese Sicherheitsanweisung aber mutwillig nicht eingehalten – und damit ihn selbst und andere gefährdet.
Diesen Vorwurf weist der Anwalt der Entlassenen vehement zurück. Nie würde sie mutwillig irgendwelche Einstellungen an der Maschine verändern. Die Gefahren kenne sie dank jahrzehntelanger Erfahrung haargenau, schliesslich habe sie einst einen Finger an dieser Maschine verloren. Der Anwalt kritisiert, die angeführten Gründe für die fristlose Entlassung seien haltlos. Anders als im Kündigungsschreiben behauptet, habe es zudem nie eine mündliche Verwarnung gegeben.
Zeugenaussagen ergeben kein klares Bild
Die Entlassene fordert laut Anwalt 18 000 Franken − viereinhalb Monatslöhne zu 4000 Franken: Drei Monate für die ordentliche Kündigungsfrist plus anderthalb Monate Entschädigung für die ungerechtfertigte fristlose Entlassung. Zudem solle das Gericht den Chef verpflichten, ein richtiges Arbeitszeugnis auszustellen. Der ist aufgebracht: «Es gibt kein Gesetz, das mich zwingt zu lügen.»
Der Richter entscheidet, zwei Zeuginnen vorzuladen: eine Angestellte und eine ehemalige Angestellte. So will er sich selber ein Bild machen. An dieser Verhandlung lenkt der Betriebsinhaber punkto Arbeitszeugnis ein und will bestätigen, dass die Frau «fleissig und pflichtbewusst» arbeitete und «gute Leistungen erbrachte». Die Zeuginnen aber widersprechen sich. Eine Frau bestätigt die Version des Chefs. Die andere spricht von Missverständnissen. Sie sagt, die Klägerin habe die Verwarnung nicht verstanden und am fraglichen Tag offenbar ein Kommando falsch aufgefasst. Deshalb habe sie die Ma-schine beschleunigt, statt sie bloss zu starten.
Später folgt das schriftliche Urteil. Der Richter stuft die fristlose Entlassung als zulässig ein. Eine italienische Arbeitskollegin habe die Arbeitsanweisungen korrekt umgesetzt. Daraus sei zu schliessen, dass auch die Klägerin «die Anweisungen richtig verstanden hat». Sie habe das Verbot von Manipulationen an der Maschine ignoriert und die körperliche Integrität des Chefs gefährdet.
Das kann die entlassene Angestellte nicht akzeptieren. Sie zieht das Urteil an das Thurgauer Obergericht weiter. Thomas Müller
Fristlose Kündigung nur ausnahmsweise zulässig
Eine sofortige Entlassung ist nur zulässig, wenn ein Fehlverhalten so gross ist, dass für den Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der regulären Kündigungsfrist nicht zumutbar ist. Das Vertrauensverhältnis muss unwiderruflich und schwer gestört sein. Beispiele aus der Gerichtspraxis, in denen dies bejaht wurde: strafbare Handlungen, Arbeitsverweigerung, Konkurrenzierung des Betriebs, Verrat von Geschäftsgeheimnissen, Tätlichkeiten gegen Arbeitskollegen. Bei weniger schwerwiegenden Verfehlungen verlangen die Gerichte zuerst eine Verwarnung. Bei fahrlässigen Handlungen oder ungenügenden Leistungen ist eine sofortige Kündigung nicht zulässig.
Wer ungerechtfertigt fristlos entlassen wird, sollte sofort dagegen protestieren und eine schriftliche Begründung verlangen. Erachtet das Gericht die sofortige Kündigung als ungerechtfertigt, haben Entlassene Anspruch auf den Lohn bis zum Ablauf der normalen Kündigungsfrist plus eine Entschädigung von maximal sechs Monatslöhnen.