Ein Aargauer Unternehmer aus der Metallbranche erhofft sich Gerechtigkeit – nach 18 Jahren und zahlreichen Gerichtsurteilen. Der 51-Jährige ist überzeugt: Sein Anwalt hat ihn damals bei einem Rechtsstreit schlecht beraten und finanziell und psychisch fast ruiniert.
Am Bezirksgericht Muri AG erscheint der Unternehmer mit einem neuen Anwalt. Die Vorgeschichte: Vor 18 Jahren arbeitete der Aargauer als Mechaniker in einem Kleinbetrieb. Sein Chef wollte sich aus dem Berufsleben zurückziehen und fragte ihn, ob er die Firma übernehmen wolle.
Das war dem Mechaniker zu viel. Für 350 000 Franken kaufte er aber die grossen Maschinen, um ein eigenes Unternehmen zu gründen. Der Chef behielt seine Firma und die Werkstatt, um ausgewählte Aufträge zu erledigen. Nebenbei beriet er seinen ehemaligen Angestellten, wofür dieser ihn monatlich bezahlte. Später erkrankte der Patron und starb.
Daraufhin fing der Streit an. Die Erben des Patrons waren der Ansicht, der Mechaniker habe die ganze Firma gekauft – nicht nur die Maschinen. Laut der Unternehmensbewertung eines Treuhänders war die Firma rund 580 000 Franken wert. Die Erben klagten den Jungunternehmer ein und forderten eine Nachzahlung. Die monatlichen Zahlungen an den Chef seien kein Lohn gewesen, sondern Raten, um den restlichen Kaufpreis abzustottern.
Der Anwalt riet davon ab, den Fall weiterzuziehen
Der Jungunternehmer (damals 36) dachte, die Sache sei rasch geklärt. Über seinen damaligen Anwalt liess er den Kaufvertrag einreichen. Damit war dokumentiert, dass er nur einen Teil der Maschinen gekauft hatte. Jede einzelne war im Vertrag säuberlich aufgelistet. Trotzdem gab das Bezirksgericht Kulm AG im Jahr 2003 den Erben recht. Es stützte den Entscheid auf schwammige Aussagen von Zeugen und verurteilte den Jungunternehmer zu einer Nachzahlung von 105 000 Franken. Später sollten noch einmal gut 80 000 Franken folgen. Der damalige Anwalt riet davon ab, den Fall weiterzuziehen. Der Unternehmer habe keine Chance.
Als die Erben 2005 das restliche Geld forderten, wechselte der Mechaniker den Anwalt. Dieser konnte zwar das alte Urteil nicht rückgängig machen. Er setzte aber über mehrere Instanzen durch, dass sein Mandant das Geld nicht zahlen musste. Dazu waren acht weitere Gerichtsurteile nötig.
Der Schaden ist weit höher als die Anwaltsrechnung
Der ehemalige Anwalt schickte dem Unternehmer unterdessen eine Honorarrechnung über 24 178 Franken. «Diese Forderung ist ungerechtfertigt», sagt sein neuer Rechtsvertreter am Bezirksgericht Muri: Sein Vorgänger habe die Chancen eines Weiterzugs des Urteils von Kulm weder analysiert noch aufgezeigt. Der damalige Anwalt habe seine Sorgfaltspflicht verletzt. Der Schaden durch die Fehlberatung sei weit höher als die Rechnung über knapp 25 000 Franken. «Mein Mandant ist nicht nur Opfer eines Anwalts geworden, der seinen Job unsorgfältig ausübte. Sondern auch Opfer seiner Berufshaftpflichtversicherung, die den Fall in die Länge zieht.»
Tatsächlich wäre der aktuelle Prozess nicht nötig gewesen. Das Bezirksgericht Muri wies die Honorarforderung von 24 178 Franken schon 2012 ab. Es bestätigte die Sorgfaltspflichtverletzung und einen Schaden, der die Honorarforderung übersteige.
Der eingeklagte Anwalt ist inzwischen im Rentenalter. Seine Berufshaftpflichtversicherung, die Zurich, hat ihm einen Rechtsvertreter zur Seite gestellt. Dieser weist jeden Fehler zurück. Der Fall sei nach den Regeln der anwaltlichen Kunst geführt worden.
Der Unternehmer musste einen neuen Prozess einleiten, weil die Versicherung nicht zahlen wollte. Im aktuellen Fall fordert er 105 000 Franken als Schadenersatz.
Das Bezirksgericht Muri gibt ihm recht. Der ehemalige Anwalt des Klägers habe mehrere Sorgfaltspflichtverletzungen begangen. Es spricht dem Unternehmer 105 000 Franken Schadenersatz zuzüglich 5 Prozent Zins zu – das sind inzwischen weitere 80 000 Franken. Das Urteil des Bezirksgerichts Kulm von 2003 habe «gute Angriffspunkte für eine Appellation» geboten. Der ehemalige Anwalt hätte dies erkennen und den Unternehmer darüber informieren müssen. Das sei nicht geschehen.
Die Gegenseite hat das Urteil an das Obergericht des Kantons Aargau weitergezogen. Anwälte schulden keinen Erfolg, aber Sorgfalt Anwälte dürfen nur Fälle annehmen, denen sie gewachsen sind. Das gilt hinsichtlich Fachkompetenz wie zeitlicher Ressourcen. Sie müssen die wesentlichen Sachverhalte abklären, ihre Klienten über rechtliche Probleme aufklären und ihnen Handlungsvarianten aufzeigen. Besonders sorgfältig müssen sie die Klienten über finanzielle Risiken informieren. Dazu gehören Gerichtskosten, Anwaltshonorare und Prozessentschädigungen. Klienten, denen aus der Sorgfaltsverletzung ihres Anwalts ein Schaden entsteht, haben Anspruch auf Schadenersatz. Anwälte sind verpflichtet, eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschliessen, damit Schäden gedeckt sind.