Das Strafgericht Schwyz verhandelt nicht im Gerichtssaal, sondern im grösseren Kantonsratssaal im Rathaus Schwyz. Denn fast zwei Dutzend Zuschauer verfolgen, wie Anwalt Linus Bruhin auf dem Stuhl des Beschuldigten Platz nimmt. «Eine neue Rolle», wie er anmerkt. Der 54-Jährige ist wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung angeklagt. Die Staatsanwältin fordert eine bedingte Geldstrafe von 36 900 Franken (90 Tagessätze) mit zwei Jahren Probezeit und 9220 Franken Busse.
Die Sache geht zurück auf das Jahr 2008. Damals zog Bruhin die Einsprache von 30 Anwohnern aus dem Jahr 1999 gegen die Verlängerung der Bewilligung zum Kiesabbau durch die Firma Kibag zurück, ohne mit seinen Klienten Rücksprache zu nehmen. Zugleich verheimlichte er, dass er von der Kibag im Gegenzug 12 000 Franken erhielt, und nannte bloss einen «anonymen Spender».
Anwalt nahm mehr Geld, als an Honorar ausstehend war
Dass der Fall vor Gericht kommt, geht auf eine Strafanzeige von zwei ehemaligen Mandanten zurück. Sie wandten sich ans Bundesgericht, nachdem das Verfahren gegen den Anwalt im Kanton Schwyz versandete. Es wies die Schwyzer Justiz 2018 an, den Anwalt anzuklagen.
Die Staatsanwältin betont vor den fünf Richtern, dass Bruhin als Anwalt der Einsprecher verpflichtet gewesen wäre, für den «alles entscheidenden Beschwerderückzug» das Einverständnis seiner Mandanten einzuholen. Das habe er unterlassen und so in Kauf genommen, die Interessen der Einsprecher zu übergehen und ihr Vermögen zu schädigen. Mit seinem Vorgehen habe er der Gemeinde Wangen und der Kibag Umtriebe und Kosten ersparen wollen – obwohl er Anwalt der Einsprecher war. Zugleich habe er sich ungerechtfertigt bereichert. Die 12 000 Franken lägen über dem Honorar, das er von seinen Klienten hätte verlangen können.
«Absoluter Blödsinn», kontert der Beschuldigte. Er habe das Maximum für seine Mandanten herausgeholt. Von Bereicherung könne keine Rede sein. Die Zahlung der Kibag habe seine Aufwendungen plus Abschlussarbeiten abgedeckt. So habe er von den Einsprechern nichts mehr verlangen müssen. «Die Idee war von Anfang an, die Kosten möglichst der Gegenpartei anzuhängen», sagt er.
Die vorsitzende Richterin hakt nach. Warum er einen «anonymen Spender» vorgegaukelt habe. «Die Kibag wollte nicht genannt werden», entgegnet der Beschuldigte. Und warum er nicht das Einverständnis aller Mandanten für den Einspracherückzug eingeholt habe. «Ich hatte keinen Grund, die Leute nochmals anzufragen», sagt Bruhin. Inhaltlich hätten sie sich schon zuvor äussern können, «offen waren nur noch Verfahrensabschluss und Schlussrechnung».
Sein Verteidiger führt aus, die Einsprecher seien 2006 detailliert über einen neuen Beschluss der Gemeinde zum Kiesabbau orientiert worden. Sie folgten Bruhins Empfehlung, diesen Entscheid nicht anzufechten. «Damit war der Zug längst abgefahren», sagt er und fordert einen Freispruch.
Gemeinde schlug dem Anwalt einen Deal mit «Zückerchen» vor
Es dauerte zwei weitere Jahre, bis die Gemeinde strittige Fragen mit der Kiesabbaufirma geklärt hatte. Dann regelten Wangen und die Nachbargemeinde mit der Kibag die neuen Eckpunkte in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag. Die Gemeinde sichert darin zu, die 30 pendenten Einsprachen von 1999 abzuweisen. Der Gemeindepräsident schlug Bruhin darauf einen Deal mit «Zückerchen» vor, wie der Beschuldigte dem Gericht erzählt: Rückzug der Einsprachen gegen 12 000 Franken für Anwaltskosten. Vier Tage nach der Besprechung im September 2008 habe ihn der Gemeindeschreiber angerufen: «Er sagte, die Kibag mache mit.» Bruhin schickte gleichentags die Rechnung und zog die Einsprachen zurück. Inhaltlich sei das die beste Lösung für seine Mandanten gewesen, sagt er.
Ein betroffenes Ehepaar, das mit dem Rückzug der Einsprache nicht einverstanden war, sieht das anders. Seine Liegenschaft liegt neben dem Kiesförderband und einer Transportpiste, was viel Lärm, Staub und Lastwagenverkehr mit sich bringt. Sie fordern von Bruhin 32 000 Franken Schadenersatz. Das entspricht den Kosten, die ihnen im Bemühen entstanden, den Verlust der Einspracherechte wettzumachen. Ihre Anwältin sagt, die Einsprache hätte Chancen bei höheren Instanzen gehabt.
Freispruch, doch Anwalt muss die Verfahrenskosten tragen
Das Strafgericht spricht Linus Bruhin schliesslich von Schuld und Strafe frei. Er habe seine anwaltliche Vollmacht nicht missbraucht. Keiner seiner Mandanten habe 2006 den Beschluss der Gemeinde anfechten wollen. Deshalb habe Bruhin davon ausgehen dürfen, dass sie auch 2008 an der Weiterführung des Verfahrens kein Interesse mehr gehabt hätten.
Die Forderung des Ehepaars weist das Gericht ab. Doch der Beklagte muss die Verfahrenskosten von 14 500 Franken tragen. Sein Verhalten habe zur Einleitung des Verfahrens geführt. Er hätte seine Mandanten über den geplanten Einspracherückzug und die Zahlung durch die Gegenpartei informieren sollen – «ohne Geheimhaltung des ‹Spenders›», hält das Gericht fest. Das Ehepaar zieht den Fall weiter.
Anwälte müssen Interessen der Klienten wahren
Wer einen Anwalt bevollmächtigt, geht davon aus, dass dieser einzig seine Interessen vertritt und nur rechtliche Schritte einleitet, die er vorher mit ihm abgesprochen hat. Der Vertrag mit dem Anwalt ist ein Auftrag. Der Beauftragte verpflichtet sich, die ihm übertragenen Geschäfte vertragsgemäss zu besorgen. Das Gesetz hält fest: Beauftragte müssen ihren Auftraggebern jederzeit über ihre Handlungen Rechenschaft geben. Alles Geld, das sie im Rahmen des Auftrags von anderer Seite erhalten haben, müssen sie an ihre Klienten herausgeben. Anwälte, die sich nicht an diese Grundsätze halten, werden schadenersatzpflichtig. Sie können sich zudem strafrechtlich der ungetreuen Geschäftsführung schuldig machen. Die kantonale Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte hat ausserdem zu entscheiden, ob sie Fehlbare mit einer Disziplinarstrafe belegt. Das kann von einem Verweis über eine Busse bis zum Entzug des Anwaltspatents führen.