T ierställe sind eine Hauptursache für antibiotikaresistente Keime. Dort kommen Tonnen dieser Medikamente zum Einsatz. Die resistenten Keime können von Tieren zu Menschen gelangen – und für letztere lebensgefährlich werden (saldo 19/2017). Weltweit sterben jährlich 700 000 Menschen an Infektionen, die sich nicht mehr mit Antibiotika behandeln lassen. 300 sind es in der Schweiz laut Schweizerischem Zentrum für Antibiotikaresistenzen (Anresis). Besorgniserregend sind vor allem Resistenzen gegen sogenannte kritische Antibiotika (auch Reserve-Antibiotika), die in der Humanmedizin wichtig sind und bei Tieren nur unter Auflagen zum Einsatz kommen dürfen.
Beunruhigend sind auch die Zahlen eines neuen Berichts des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen: Seit 2015 verharrt die Anzahl einiger resistenter Keime in Ställen auf hohem Niveau. Über 30 Prozent der E.-Coli-Darmbakterien von Mastkälbern sind multiresistent. Und bei den untersuchten Mastschweinen fanden sich sogar 52 Prozent multiresistente MRSA-Keime (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus). Diese kommen auf der Haut und auf den Schleimhäuten vor.
Es werden zwar immer weniger Antibiotika verkauft, aber die Menge einzelner resistenter Keime nimmt nicht ab. Die Zahl steigt sogar. Experten vermuten, dass die wichtigen kritischen Antibiotika in Ställen noch immer zu oft eingesetzt werden. Für Vincent Perreten, Bakteriologe an der Uni Bern und ausgewiesener Fachmann auf diesem Gebiet, ein unhaltbarer Zustand: «Bauern und Tierärzte müssten die Tiere seltener mit Antibiotika behandeln, damit die resistenten Keime abnehmen.»
Ein Hauptverbraucher mit rund 24 Prozent aller verkauften Antibiotika sind die Kälbermäster. Das Problem: Viele Kälber wachsen nicht auf dem Geburtsbetrieb auf, sondern kommen im Alter von drei Wochen auf einen Mastbetrieb. Transport und Umstallung sind eine Belastung für die jungen Tiere, weil es zu Wassermangel und Stress kommt. Folge: Weil ihr Immunsystem noch nicht voll ausgebildet ist, werden die Kälber krank. Tierärzte und Bauern verabreichen deshalb Antibiotika, oft sogar zweimal.
Einsatz von Antibiotika liesse sich problemlos reduzieren
2019 verabreichten Schweizer Landwirte ihren Nutztieren 30 Tonnen Antibiotika. Vergleichszahlen der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) aus dem Jahr 2015 zeigen: Beim Antibiotikaverbrauch pro Kilo Lebendgewicht der Nutztiere lag die Schweiz im Mittelfeld. Bauern in Dänemark, Finnland, Norwegen oder Schweden geben ihren Tieren deutlich weniger Antibiotika.
Dabei liesse sich der Einsatz von Antibiotika gut reduzieren. Das sagt Tiermedizinerin Selina Fürst vom Kälbergesundheitsdienst. Wenn Kälber Muttermilch, Spurenelemente und eine Impfung erhielten, komme der Bauer mit deutlich weniger solchen Medikamenten aus. Und: «Wenn die Kälber direkt vom Geburtsbetrieb zum Mastbetrieb kommen, braucht es noch seltener Antibiotika.»
Davon ist die Praxis weit entfernt. Der Bund finanziert zwar mit über einer Million Franken pro Jahr Projekte, die Bauern zeigen, wie sie den Antibiotikaeinsatz senken könnten. Doch das hindert den Berner Bauernverband nicht, dem Antibiotikaeinsatz Vorschub zu leisten. Seit diesem Oktober veranstaltet er neue Kälbermärkte, die eine gesundheitliche Belastung für die Tiere darstellen. Ziel sei es, einen besseren Preis zu erzielen, sagt Hans Rösti, Vorstandsmitglied des Berner Bauernverbands. Die Bauern rechnen mit einem Mehrpreis von 60 bis 70 Franken pro Tier.
Dass sie so die Gesundheit der Tiere aufs Spiel setzen, verneint Rösti. Martin Kaske, Geschäftsführer des Kälbergesundheitsdienstes und Veterinärprofessor an der Uni Zürich, ist anderer Ansicht: Solche Märkte und das Handeln über Sammelplätze seien aus gesundheitlichen Überlegungen «ohne Wenn und Aber» abzulehnen.
In den Spitälern spitzt sich die Lage derweil zu. Resistente Keime bereiten dem Zentrum Anresis Sorge. Leiter Andreas Kronenberg warnt: «Der Einsatz von Antibiotika in der Human- und Tiermedizin ist wo immer möglich zu senken.»
Antibiotika-Datenbank: Teuer und unbrauchbar
Seit Anfang 2019 müssen Tierärztinnen und Tierärzte Antibiotika-Abgaben festhalten und in eine nationale Datenbank eingeben. Ziel ist es, die Übersicht über den Verbrauch zu behalten. saldo verlangte per Öffentlichkeitsgesetz Zugang zu den Daten.
Das Gesuch wurde abgelehnt. Begründung: Die Daten der Tierärzte seien wegen Anfangsschwierigkeiten nicht auswertbar, da sie fehlerhaft seien. Entwicklung und Betrieb der Datenbank haben bisher über 1,5 Millionen Franken gekostet.
Illegale Importe von Antibiotika
Antibiotika gelangen auch illegal in die Schweiz. Der letzte grosse Fall flog im Mai 2018 auf. Bauern unterliefen die Bestrebungen des Bundes zur Reduktion von Antibiotika resistenzen und deckten sich jahrelang mit illegal importierten Antibiotika ein. Die Käufer kamen mit einem blauen Auge davon: Laut der Aufsichtsbehörde für Arzneimittel und Medizinprodukte Swissmedic kam es zu 70 Bussen im Gesamtwert von 48 200 Franken. Im Durchschnitt waren das 688 Franken pro Busse.