Es geht der Spital Thurgau AG offenbar ums Prinzip. «Rein vom Betrag her lässt sich der Aufwand für das Verfahren eigentlich nicht rechtfertigen», räumt der Buchhalter in der Verhandlung ein. Das Spital fordert vom 74-jährigen Beklagten Fr. 928.80 plus Zinsen, Mahngebühr und Betreibungskosten.
Grund ist ein Rettungsdiensteinsatz vor mehreren Monaten. Die Notrufzentrale beauftragte das Kantonsspital in Frauenfeld, den Rentner ins Spital zu bringen. Weil der Mann nicht öffnete, zogen die Sanitäter für den Zugang zur Wohnung die Polizei bei. Die Leistung sei erbracht und deshalb auch zu bezahlen, hält der Vertreter des Spitals vor Gericht fest.
Die Einzelrichterin des Bezirksgerichts Münchwilen will wissen, wer die Notrufnummer 144 angerufen habe. Der Buchhalter weicht aus: «Ich weiss nicht, ob ich das hier sagen darf oder ob es amtlich festgestellt werden muss.» Er nennt den Namen nicht.
Nun hat der Rentner das Wort. «Ich lag im Bett und schlief – plötzlich drangen die Herrschaften in mein Schlafzimmer ein, zogen mir die Wolldecke weg, rissen die Fenster auf und sagten, ich müsse ins Spital», erzählt er. Es sei etwa 9 Uhr morgens gewesen. Er habe gefragt, wer das veranlasst habe: «Eine Antwort erhielt ich nicht, es gab ein Hin und Her und dann zogen sie unverrichteter Dinge ab.» Der Mann bleibt zwar ruhig, ist aber immer noch sichtlich empört: «Es soll nun endlich mal gesagt werden, wer die 144 angerufen hat – das war ja geradezu böswillig.» Im Übrigen sei er der Meinung, er entscheide selbst, ob er ins Spital gehe. Man habe ihn in der Wohnung kurz untersucht und dabei gemerkt, dass er keinerlei Beschwerden habe. Entgegen anderer Behauptungen, sei er nicht verwirrt gewesen, sondern bloss überrumpelt.
Der Rentner vermutet einen Racheakt seiner Ex-Frau
Die Einzelrichterin fragt, ob er sich nach dem Vorfall nochmals bemüht habe zu erfahren, wer angerufen habe. «Ja klar», entgegnet er. Auskunft habe er keine erhalten. Warum, wisse er bis heute nicht. Ihm komme das ziemlich dubios vor. Er habe echt keine Ahnung, wer dahinterstecke, womöglich vielleicht gar seine Ex-Frau. Die Rechnung solle zahlen, wer die Ambulanz bestellt habe. Er lebe von der AHV, der Betrag mache die Hälfte seines Monatseinkommens aus.
Das fordert den Buchhalter heraus. Das Spital sei zum Spielball geworden, beklagt er und lässt damit durchblicken, dass da seiner Meinung nach jemand schlitzohrig Ausreden sucht, um nicht zahlen zu müssen: «Wir mussten sofort ausrücken, erst vor Ort zeigte sich, ob es tatsächlich um Leben und Tod geht.» Nach den Notfalltests habe der Patient ein Formular unterschrieben, wonach er auf eine Nachuntersuchung im Spital verzichte.
Richterin und Gerichtsschreiber bemühen sich um einen Kompromiss und setzen sich mit den beiden Männern zu Vergleichsgesprächen zusammen. Sie appellieren an das Verständnis des Buchhalters. Es müsse doch für eine behandelte Person möglich sein zu erfahren, wer angerufen und die Behandlung veranlasst habe.
Doch der Buchhalter bleibt hart. Der Rentner müsse halt bei der Notrufzentrale eine Beschwerde einreichen. Auch beim Beklagten wirbt die Richterin um ein Entgegenkommen. Der Rettungsdienst habe ja nicht gewusst, ob er bewusstlos sei oder schlafe, sagt sie. Der Aufwand für den fast einstündigen Einsatz sei zu entschädigen. Zudem habe er ja das Formular unterschrieben. Damit bestätigte er, «im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte zu sein». Und im zweiten Absatz sei festgehalten, dass er die Kosten übernehme. Diesen Absatz habe er nicht durchgestrichen.
Ein Vergleich scheitert. Die Einzelrichterin entscheidet: Ihr Urteil verpflichtet den Rentner, dem Spital Fr. 928.80 zu bezahlen.
Wer die 144 anrief, weiss der 74-Jährige bis heute nicht. Seine Ex-Frau sei es wohl nicht gewesen, sagt er im Nachhinein. Wars ein besorgter Nachbar? Seine Ärztin? Immerhin wechselte der Mann einige Wochen vor dem Vorfall sein Diabetesmedikament. Er habe sie gefragt, berichtet der Mann: «Sie sagte mir, sie habe nicht angerufen.»
Schuldanerkennungen sind verbindlich
Wer beim Gericht eine Forderung geltend macht, muss beweisen, dass er das Geld zugut hat. Als Beweismittel in Frage kommen Zeugen, Urkunden und ausnahmsweise auch Aussagen von Beteiligten. Am einfachsten ist eine Forderung durchsetzbar, wenn über den Betrag eine schriftliche Schuldanerkennung der beklagten Partei vorliegt. Dann spielt es in der Regel keine Rolle mehr, wie der Betrag zustande kam. Eine schriftliche Schuldanerkennung kann vor Gericht höchstens noch mit Erfolg in Frage gestellt werden, wenn man belegen kann, dass man bei der Unterzeichnung getäuscht oder bedroht wurde – oder nicht urteilsfähig war.