Rosemarie Imhof, saldo-Leserin aus Allschwil BL, stach Anfang 2020 ein Artikel im «Tages-Anzeiger» ins Auge: «Bad News: Die Rente wird nicht reichen». Tenor: AHV und Pensionskassen sind schlecht, selber in der 3. Säule sparen ist viel besser.
Was daherkam wie ein normaler redaktioneller Artikel, war eine ganzseitige Anzeige der Vermögensverwalterin Genève Invest Wealth Management. Das Finanzinstitut behauptete: «Ihre Rente, die Sie dereinst erhalten werden, ist nicht sicher. Das ist sicher.»
Für die ganzseitige Werbung zugunsten des privaten Alterssparens verwies Genève Invest auf einen 30-seitigen Bericht der Credit Suisse. Titel: «Zweite Säule: Wachsendes Gefälle zwischen den Generationen». Die genauen Quellen der Publikation sind unklar. Die Grossbank CS erwähnt pauschal «öffentlich verfügbare Statistiken» und «eigene Berechnungen».
Stutzig machte auch der Februar-Newsletter des grössten Schweizer Lebensversicherers Swiss Life: «Babyboomer – Auswirkungen auf die Sozialversicherungen». Darin warnen die Autoren, die Finanzierung von AHV und Pensionskassen sei ungelöst, die finanzielle Lage der Altersvorsorge fragil. saldo nennt die Fakten zu den Behauptungen.
Behauptung zur Alterung: Schweizer würden immer älter, darum müsse das angesparte Altersguthaben heute länger ausreichen als früher. Dieser Trend werde sich in Zukunft fortsetzen. In TV-Spots behauptete Swiss Life: «Jedes zweite Neugeborene wird 100 Jahre alt.»
Fakt: Im Jahr 2016 verstorbene über 65-jährige Männer bezogen im Durchschnitt 17,9 Jahre lang eine Rente, Frauen rund 21 Jahre («K-Tipp» 15/2018). Das Älterwerden flacht seit 2011 merklich ab. Die Anzahl Rentenjahre der Männer fiel 2017 auf das Niveau von 2012. Das deckt sich mit Studien der amerikanischen Universitäten von Princeton und Southern California. Sie untersuchten die Lebenserwartung in 18 reichen Ländern. Fast überall – auch in der Schweiz –, war die Lebenserwartung der 65-Jährigen in den untersuchten Jahren 2014 und 2015 rückläufig.
Behauptung zu Babyboomern: Die Babyboomer – die Generation, die nach dem Zweiten Weltkrieg bis Mitte der Sechzigerjahre auf die Welt kam – würden bei den Sozialwerken eine Finanzierungslücke verursachen.
Fakt: Die AHV hat heute riesige Reserven angehäuft («K-Tipp» 3/2020). Nach dem Babyboom kam der Pillenknick. Von 1964 bis 1978 sank die Geburtenrate um fast 40 Prozent. Deshalb wird die Zahl der Neurentner ab 2030 deutlich sinken. Seit 2005 stieg die Zahl der Geburten wieder Jahr für Jahr. Das bedeutet: Spätestens ab den 2030er-Jahren werden diese neuen Babyboomer erwerbstätig. Dadurch steigen die Einnahmen der AHV. Das heisst für die AHV: sinkende Ausgaben bei steigenden Einnahmen. In der Pensionskasse spielt die Bevölkerungsentwicklung keine Rolle: Denn dort spart grundsätzlich jeder für sich selbst und bezieht im Alter sein Guthaben als Kapital oder Rente.
Behauptung zur Umverteilung: In den Pensionskassen wird heute Geld von Jung zu Alt umverteilt.
Fakt: In der 2. Säule wird zwar viel Geld umverteilt. Allerdings nicht von den Erwerbstätigen zu den Rentnern – sondern zu den Pensionskassen. Grund: Die Altersguthaben der Versicherten werden zu tief verzinst – weit unter den tatsächlichen Erträgen der Pensionskassen. Die Differenz landet nicht bei den Rentnern, sondern fliesst in die Reserven der Pensionskassen. Diese steigen von Jahr zu Jahr. Ende 2017 betrugen die Reserven 134 Milliarden Franken (saldo 9/2018).
Behauptung zur Rendite: Gute
risikoarme Renditen sind heute schwierig zu erzielen.
Fakt: Trotz gegenwärtiger Tiefzinsperiode erzielten die Pensionskassen 2019 laut UBS das beste Ergebnis seit Messbeginn im Jahr 2006: Im Durchschnitt erreichten sie 11,1 Prozent Rendite. Im Rückblick auf die letzten zehn Jahre erwirtschafteten die Pensionskassen trotz des Börsentauchers im Jahre 2018 im Durchschnitt eine Rendite von 4,8 Prozent. Erfolgreich war auch der konservativ ausgerichtete AHV-Fonds mit einem Aktienanteil von nur 25 Prozent. Er erwirtschaftete im vergangenen Jahr eine Rendite von 9,6 Prozent – die zweitbeste seit der Gründung 1948! Das AHV-Vermögen steigt auf rund 45 Milliarden Franken. Das ist doppelt so viel wie im Jahr 2000.
Derart gute Zahlen verbreiten die Verunsicherer der Finanzbranche nicht gern. Unternehmen wie CS und Swiss Life wollen mit ihrer Renten-Schwarzmalerei zielgerichtet das private Sparen ankurbeln. So heisst es im Fazit des Credit-Suisse-Berichts über «das Gefälle zwischen den Generationen»: «Die Analyse zeigt deutlich, dass die private Altersvorsorge zur Sicherstellung des gewohnten Lebensstandards im Alter weiter an Bedeutung gewinnen wird.» Neben Einzahlungen in die Säule 3a empfiehlt die Bank zusätzliches privates Sparen auch ohne Steuervorteil.