Alter ist nicht schuld an hohen Prämien
SVP und Krankenkassen fordern höhere Prämien für ältere Menschen. Diese würden das Gesundheitswesen besonders stark belasten. Doch das ist laut einer neuen Studie falsch.
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saldo 17/2012
20.10.2012
Letzte Aktualisierung:
22.10.2012
Thomas Lattmann
Alle Jahre wieder steigen die Prämien der obligatorischen Krankenversicherung. 2013 soll die Prämie im Schnitt um 1,5 Prozent zulegen. Je nach Versicherungsmodell und Wohnort sind auch weit höhere Aufschläge möglich. Ärzte, Kassen, Politiker und Pharmaindustrie begründen dies damit, dass die Bevölkerung immer älter werde.
Die drei Kassen Helsana, Sanitas und Groupe Mutuel schlugen Ende des letzten Jahres vor, das Solidaritätsprinzip...
Alle Jahre wieder steigen die Prämien der obligatorischen Krankenversicherung. 2013 soll die Prämie im Schnitt um 1,5 Prozent zulegen. Je nach Versicherungsmodell und Wohnort sind auch weit höhere Aufschläge möglich. Ärzte, Kassen, Politiker und Pharmaindustrie begründen dies damit, dass die Bevölkerung immer älter werde.
Die drei Kassen Helsana, Sanitas und Groupe Mutuel schlugen Ende des letzten Jahres vor, das Solidaritätsprinzip im Schweizer Gesundheitssystem aufzuheben. Dieses besagt: Männer zahlen gleich viel wie Frauen, Junge gleich viel wie ältere Leute. Aber die Prämien sind abhängig vom Wohnort, und Kinderprämien sind tief. Nach dem Vorschlag der Kassen sollen neu die Prämien der älteren Leute steigen und jene für die Jungen sinken. Die SVP doppelte nach und forderte, Alte und Kranke müssten mehr zahlen.
Die Forderungen basieren auf der Annahme, dass Ältere mehr Kosten verursachen als Jüngere. Das ist falsch, wie aus einer Studie des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums Obsan hervorgeht, einer Organisation von Bund und Kantonen im Bereich des Gesundheitswesens. Prämientreiber sind teure Medikamente, Spezialärzte sowie neue teure Leistungen und Behandlungen. Die Alterung hat kaum einen Einfluss auf die Kostensteigerungen.
Gemäss den Gesundheitsökonomen steht fest, dass ein Mensch in den letzten 24 Monaten vor seinem Tod die höchsten Gesundheitskosten verursacht – unabhängig vom Alter.
Von 1998 bis 2010 stiegen die Prämien um über 58 Prozent
Die Gesamtausgaben im Gesundheitswesen der Schweiz beliefen sich im Jahr 2010 auf 62,5 Milliarden Franken. Ein Drittel davon zahlte die Grundversicherung. Die Verteilung dieser Kosten untersuchte die Obsan-Studie – ohne Verwaltungskosten der Kassen und jenen Beträgen, die Patienten aus der eigenen Tasche zahlen mussten (Franchise, Selbstbehalt).
Die Forscher wollten herausfinden, wo die Gründe für die Kostensteigerung der letzten zwölf Jahre lagen. Von 1998 bis 2010 stiegen die Nettokosten von 11,8 auf 20,9 Milliarden Franken, also um 77 Prozent. Unter Berücksichtigung der Teuerung beträgt die Steigerung immer noch über 58 Prozent.
Mit dem höheren Alter der Bevölkerung können laut Obsan nur 6,5 Prozent der Kostensteigerung erklärt werden. Doppelt so stark, nämlich 14,4 Prozent, ist der Einfluss des Bevölkerungswachstums auf die Kostenentwicklung. Der grosse Teil (79,1 Prozent) ist auf Faktoren wie den medizinisch-technischen Fortschritt, die Arzt- und Spitaldichte sowie auf Ansprüche und Verhalten von Patienten generell zurückzuführen.
In folgenden Bereichen stiegen die Kosten während der zwölfjährigen Untersuchungsperiode vor allem:
- Medikamente: Hier haben sich die Nettokosten praktisch verdoppelt. Die Zunahme liegt bei 2,35 Milliarden Franken. Den markanten Kostenanstieg erklären die Autoren der Studie damit, dass Ärzte und Spitäler von den bisherigen Medikamenten die teureren verschreiben und die neu auf den Markt kommenden Medikamente Preistreiber sind.
- Ambulante Leistungen: Die Kosten der ambulanten Leistungen sind ebenfalls stark gewachsen: nominal um 81,9 Prozent (3,49 Milliarden Franken). Ein wichtiger Grund dafür ist die Verlagerung von stationären Spitalleistungen in den ambulanten Bereich. Auffallend hier die steigenden Kosten der Spezialärzte: 2010 mussten die Grundversicherungen dafür 78,8 Prozent mehr ausgeben als zwölf Jahre zuvor – ein Plus von 862 Millionen Franken. Bescheiden blieben die Allgemeinmediziner: Die Kosten für die Grundversorgung hat nominal nur um 30,5 Prozent zugelegt. Inflationsbereinigt sind es gar nur 15,4 Prozent.
- Spitalkosten: Trotz einer Verlagerung vom stationären in den ambulanten Bereich kosten Spitäler und Pflegeheime 64,7 Prozent mehr. Die Zahl der Spitaltage pro Person sank, dafür wurden sie teurer.