Herr Mock, Ihre Studie zeigt: Die Kluft zwischen realem Treibstoffverbrauch und den Werksangaben wird immer grösser. Weshalb?
Peter Mock: Die Autobauer müssen die Verbrauchswerte senken. Grund dafür sind die verbindlichen CO2-Vorgaben der EU. Werden die Obergrenzen überschritten, drohen den Herstellern hohe Bussen. Das billigste Mittel zur Erreichung des Ziels ist es, den Verbrauch der Neuwagen auf dem Papier zu senken.
Sind die Autos nicht energieeffizienter geworden?
Nein, in den letzten fünf Jahren hat sich im Durchschnitt aller Neuwagen nichts mehr getan. Zuvor erzielten die Hersteller bei der Reduktion des Treibstoffverbrauchs Fortschritte – vor allem bei Dieselmotoren.
Ihre Organisation vergleicht die Erfahrungsdaten von Privatpersonen mit den Werksangaben der Hersteller. Wie verlässlich ist diese Methode?
Man wirft uns oft vor, wir würden nur Daten von frustrierten Autokäufern auswerten. Das stimmt nicht. Wir verwenden nicht nur solche Daten, sondern auch andere Quellen. Dazu gehören beispielsweise die Verbrauchsdaten von Leasingfirmen, Autovermietungen, Firmenflotten sowie die Tests von Automagazinen und Automobilclubs wie dem TCS. Insgesamt werteten wir in Europa für die neuste Erhebung die Daten von 1 Million Autos aus.
Welche Marken sollte ein Autokäufer meiden, weil die Abweichungen von den Versprechen der Hersteller besonders hoch sind?
Alle Hersteller arbeiten mit ähnlichen Tricks. Die Unterschiede bestehen vor allem zwischen den Fahrzeugmodellen. Am besten informiert sich ein Autokäufer mit Hilfe der Website Spritmonitor über den effektiven Verbrauch eines bestimmten Autos (siehe unten).
Können Sie keine konkreteren Angaben machen?
Im Premiumsegment finden sich einige Fahrzeugmodelle, deren Verbrauch mehr als 50 Prozent höher ist als vom Hersteller angegeben. Dazu gehören etwa Modelle von Mercedes und Audi. Auffällig sind auch die hohen Abweichungen bei Hybrid- und vor allem bei Plug-in-Hybrid-Fahrzeugen. Bei Letzteren kann die Antriebsbatterie über den Verbrennungsmotor wie auch über die Steckdose aufgeladen werden. Für diese Autos ist der offizielle Testzyklus vorteilhaft. Im Test werden 25 Kilometer rein elektrisch gefahren. Das halbiert den Treibstoffverbrauch – entspricht aber kaum dem realen Fahrverhalten.
Auf Werksangaben ist also grundsätzlich kein Verlass?
Das ist zu pauschal gesagt. Die offiziellen Verbrauchsangaben von Toyota sind vergleichsweise genau. Auch bei Kleinwagen entsprechen die Werksangaben eher der Realität.
Wie viel höher sind die Treibstoffkosten durchschnittlich im Vergleich zu den Falschangaben in den Autounterlagen?
Bei einer durchschnittlichen Abweichung von 42 Prozent, einer jährlichen Fahrleistung von 15 000 Kilometern und einem Treibstoffpreis von Fr. 1.50 pro Liter sind das über 500 Franken pro Jahr.
Welche Schlupflöcher nutzen die Autobauer bei den Testverfahren?
Es gibt eine Fülle von Möglichkeiten. Ganz wichtig sind die Reifen: Mit gehärteten, abgeschliffenen Reifen reduziert sich der Rollwiderstand und entsprechend der Treibstoffverbrauch. Ferner testen die Hersteller nur spartanisch ausgestattete Autos ohne Extras. Bei den Prüfzyklen herrschen stets angenehme Temperaturen von etwa 25 Grad und die Batterie wird während der Tests nicht aufgeladen.
Die EU führt voraussichtlich im September 2017 strengere Prüfnormen ein. Was bringt das?
Die offiziellen Verbrauchswerte werden steigen. Ein Unterschied zwischen Testergebnis und Realverbrauch wird aber bleiben. Denn es handelt sich weiterhin um einen Prüfstandstest, der nicht im realen Verkehr durchgeführt wird. Zu befürchten ist, dass die Hersteller bald neue Schlupflöcher finden. So dürfen die Autobauer auch beim neuen Test auf dem Prüfstand spezielle Reifen verwenden. Ich empfehle den Behörden, Nachtests zu machen. Die USA praktizieren das seit Jahren. Weicht dort der Nachtest der Umweltbehörde zu stark von den Herstellerangaben ab, gibt es happige Strafen.
Zur Person
Peter Mock, 35, ist Europa-Chef des International Council on Clean Transportation ICCT. Der ICCT ist eine gemeinnützige und unabhängige Umwelt- und Forschungsorganisation, die sich für umweltverträglichere Fahrzeuge einsetzt. Gegründet wurde sie 2005 in den USA. Die Organisation war massgeblich an der Aufdeckung des VW-Abgaskandals beteiligt.