Mittwoch, kurz nach 12 Uhr, in einem Bürokomplex in der Industriezone von Schwarzenbach SG. Fünf krawattierte Lebensmitteleinkäufer stehen um eine Küchenkombination und zupfen an Bündnerfleischscheiben herum. Innert weniger Minuten bilden sie sich eine Meinung zu Aussehen, Geruch, Konsistenz und Geschmack und verteilen den vier Bündnerfleisch-Varianten Noten: «B ist zu salzig», «D hat ge-wisse Einschlüsse», «C ist leicht übersäuert». Dann nehmen sie einen Schluck Mineral und degustieren die nächsten Häppchen.
Zackig werden reihenweise Noten verteilt
In Schwarzenbach ist die Zentrale von Aldi Suisse. Solche Verkostungen finden laut eigenen Angaben jeden Mittag statt, um die Qualität bestehender Produkte zu überprüfen, die Rezepturvorschläge der Lieferanten vor einer Produktlancierung zu bewerten, oder wenn Reklamationen oder schlechte Testresultate vorliegen.
Zackig werden an diesem Mittwoch reihenweise Noten verteilt – für Bündnerfleisch, Trutenbrust, Chardonnay-Weisswein, Valpolicella-Rotwein, Tomme-Weichkäse, Appenzellerkäse und Bio-Butter. In jeder Degustationsrunde tritt ein Aldi-Produkt gegen eines von Migros, Lidl, Coop oder Denner an. Pro Runde liegen nie mehr als vier Produkte auf dem Degustationsteller.
«Wir nehmen die Testergebnisse von saldo, K-Tipp, anderen Medien und Konsumentenorganisationen sehr ernst. Wenn ein Aldi-Produkt nicht auf den vorderen Rängen landet, wird eine interne Degustation durchgeführt», sagt Stefan Eberhard. Er ist bei Aldi Suisse verantwortlich für das Sortiment und somit für die Auswahl der Lieferanten. «Falls unsere interne Verkostung nicht vollends zufriedenstellend ist, suchen wir das Gespräch mit dem Lieferanten und fordern eine Verbesserung der Rezeptur oder der Herstellungsart», sagt Eberhard. Komme es so nicht zu einer befriedigenden Lösung, würde man das Produkt von einem anderen Hersteller beziehen.
Während des saldo-Besuchs erhalten alle degustierten Aldi-Produkte gute Noten. Man merkt den Einkäufern die Routine beim Bewerten an. Jeden Tag stehen fünf Personen des 14-köpfigen Einkaufsteams in der Aldi-Degustationsküche und verkosten und benoten innerhalb von maximal zwei Stunden bis zu zwanzig verschiedene Produkte.
Doch sind solche Mengen noch seriös? Zumal die Lebensmitteleinkäufer keine Profiverkoster sind? Entsprechende Schulungen finden zwar regelmässig statt. Sie sind jedoch nicht obligatorisch. Der diplomierte Sensoriker Patrik Zbinden sagt: «Für geschulte Personen ist eine Degustation von zwanzig unterschiedlichen Produkten durchaus möglich, allerdings werden sich gegen Ende wohl Konzentrationsschwierigkeiten zeigen.»
«Markteintritt von Aldi und Lidl hat die Qualität verbessert»
Patrik Zbinden organisiert selbst Degustationen und nimmt an solchen teil, auch bei saldo und K-Tipp. Er ist überzeugt, dass sich der intensivere Wettbewerb bei Lebensmitteln positiv auf die Qualität der Produkte ausgewirkt hat: «Seit dem Markteintritt von Aldi und Lidl hat sich die Qualität einzelner Produkte leicht verbessert.»
Auch bei Migros und Coop sind Degustationen an der Tagesordnung. Die Migros schreibt, dass die Sortimentsverantwortlichen zusammen mit den Einkäufern und Marketingverantwortlichen täglich mehrere Degustationen mit schriftlichen Auswertungen durchführten. Dazu betreibe man eine eigene Degustationsküche. Die genauen Abläufekennt saldo jedoch nicht. Migros wie Lidl lehnten einen Besuch ab.
Nichts zu verbergen haben die Degustationsverantwortlichen von Coop in Basel. Die 16 Mitarbeiter, die für die sensorische Qualität der Coop-Produkte zuständig sind, beschäftigen beim saldo-Besuch mehrere Produkte: die Verpackungsänderung beim roten und grünen Betty-Bossi-Pesto, das Top-Testresultat eines Beerenmüslis der Konkurrenz sowie die Einführung des neuen Bio-Apfelmus mit Erdbeeren.
Das Top-Testresultat eines Konkurrenten hat Konsquenzen
Bei Coop heissen die Verkoster «Food Consultants». Eine sensorische Ausbildung ist für sie nicht Pflicht, kulinarische Erfahrung auf dem eigenen Fachgebiet schon.
Gestartet wird morgens um neun Uhr mit grünen Pestosaucen. Darunter sind zwei Konkurrenzprodukte, acht Rezeptmuster von vier verschiedenen Lieferanten sowie das eigene Qualité-et-Prix-Pesto und Coops Betty-Bossi-Pesto. Letzteres wird bald in wiederverschliessbare Becher abgefüllt statt wie bisher in Beutel. Deshalb nehmen sechs Personen zusammen mit dem Einkäufer die Überprüfung des Geschmacks und der Qualität vor. Die Hauptfrage lautet: Soll gleichzeitig mit der Verpackungsumstellung der bisherige Lieferant seine Rezeptur verbessern oder ein neuer Lieferant zum Zug kommen?
Bemerkenswert: Die Degustationsteilnehmer sortieren die Hälfte der Saucen schon aus rein optischen Gründen aus – bevor sie sie überhaupt verkostet haben. Was zu wenig schön aussieht, soll offenbar nicht im Regal landen. Der Rest wird zuerst separat, dann zusammen mit Spaghetti blind verkostet.
Auffallend ist, dass sich kaum jemand Notizen macht und die einzelnen Produkte nicht benotet werden. Man tauscht lediglich mündlich seine Meinung aus und zieht das Fazit für den Testbericht: Der beste Lieferant soll zwei verbesserte Degustationsmuster einreichen für eine Folgeverkostung.
Die Beerenmüsli-Degustation ist ein Spezialfall: Weil das Müsli eines Konkurrenten in einem Testbericht einer Schweizer Zeitschrift sehr gut abgeschnitten hat, setzte Coop einen internen Beliebtheitstest an: Zehn Personen konnten ihre Noten verteilen. Aufgrund des Resultats beschlossen die Food Consultants von Coop, die eigene Rezeptur genauer unter die Lupe zu nehmen und gegen andere Beerenmüslis antreten zu lassen.
Fazit: Das eigene Bio-Beerenmüsli ist etwas zu sauer. Der Lieferant soll ein neues Muster liefern mit weniger sauren Beeren. Zudem soll er den Zuckeranteil so gering erhöhen, dass dieser immer noch unter dem Zuckergehalt des Nicht-Bio-Beerenmüslis liegt. Denn bei Coop verlangen die eigenen Richtlinien, dass die Bio-Produkte weniger zuckerhaltig sind.