Am Sonntag, 14. April 2013, ist es in der Schweiz ausserordentlich warm und sonnig. Das Thermometer in Sitten zeigt 24,6 Grad. Im Schweizer Stromnetz gibt es zu viel Strom. Wie jeden Sonntag braucht es an diesem Frühlingstag generell weniger Strom, weil in vielen Fabriken und Büros nicht gearbeitet wird. Aufgrund der warmen Temperaturen sinkt der Strombedarf zusätzlich. Gleichzeitig speisen in der Schweiz und in Deutschland Solarkraftwerke massenweise Strom ins Netz ein.
Um das Gleichgewicht zu halten, bieten AKWs Leistungssenkungen an
Das ist ein Problem. Denn das Stromnetz funktioniert nur, wenn Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht sind. Diese Energie zur Sicherung der Netzstabilität nennt man Regelenergie. Herrscht kein Gleichgewicht, kann es zu einem Stromausfall kommen. Damit dies nicht geschieht, erhalten die Schweizer Kraftwerke von der Stromnetzbetreiberin Swissgrid Geld dafür, dass sie vorübergehend weniger Strom produzieren.
An jenem Sonntag im April drosselte das AKW Gösgen seine Produktion während 144 Minuten um insgesamt 80 Megawatt. Das entspricht dem Tagesverbrauch von rund 15 000 Haushalten. An der Strommarktbörse hätte Gösgen dafür 10 000 bis 15 000 Franken erhalten. Swissgrid hingegen zahlt dem AKW Gösgen für die Drosselung happige 4,1 Millionen Franken. Swissgrid sagt, Gösgen habe in einer Auktion unter Kraftwerkbetreibern das günstigste Angebot gemacht.
Insgesamt kassierten Schweizer Kraftwerke im letzten Jahr 26,6 Millionen Franken dafür, dass sie für mehrere Stunden weniger produzieren. Das sind 146 Prozent mehr als im Vorjahr. Wie viel davon an Schweizer AKWs geht, geben deren Betreiber nicht bekannt. Sie bestätigen jedoch, dass alle fünf AKWs solche Leistungssenkungen anbieten.
Die Kosten für die Regelenergie werden auf Kunden überwälzt
Die Zeche zahlen die Stromkunden. Mit einer Abgabe von 0,64 Rappen pro Kilowattstunde müssen sie die Regelenergie bezahlen. Diese wird über die Stromrechnung unter dem Titel «Systemdienstleistungen» eingezogen. Bei einem 4-Personen-Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 4500 Kilowattstunden macht das Fr. 28.80.
Das AKW Gösgen erklärt, dass die knapp 4,1 Millionen Franken nicht nur für 144 Minuten bezahlt worden seien. Das AKW habe während einer ganzen Woche für Drosselungen bereit sein müssen. Dafür seien «die entsprechenden Vorbereitungen in Betrieb, Technik und Handel» getroffen worden.
Überschüssiger Strom pumpt Wasser in Staubecken hoch
Swissgrid erklärt, dass es lediglich bei temporären Engpässen zu solchen Spitzenpreisen komme. Die Jahresstatistik belegt dies. Die durchschnittlich bezahlten Beträge sind deutlich tiefer. In der erwähnten Aprilwoche waren laut Swissgrid viele Kraftwerke in Revision. Zudem lagen die Wasserstände in den Pumpspeicher-Stauseen aufgrund des langen Winters sehr tief. So tief, dass man die Wasserpumpen nicht habe anwerfen können, sagt Swissgrid. Offenbar lag in den unteren Staubecken zu wenig Wasser, um dieses in die oberen Stauseen zu pumpen.
Im Normallfall funktioniert der Stromausgleich anders: Überschüssiger Strom, etwa aus Solar- oder Windanlagen, pumpt das Wasser in die Stauseen hoch, das dort vorübergehend gespeichert wird. Ohne dass Atomkraftwerke Millionen dafür kassieren, dass sie weniger produzieren.
Stossend ist, dass die Stromkonsumenten vollständig für diese Kosten für Regelenergie aufkommen müssen. Anders im ähnlich grossen Österreich. Dort zahlen die Verbraucher bloss einen knappen Drittel. Den Rest bezahlen unter anderem die Stromproduzenten.
Swisscom: Hausbesitzer erhalten kein Geld
Nicht nur AKWs und Pumpspeicherkraftwerke können mit Regelenergie Geld verdienen. Mit dem Modell von Swisscom Energy Solutions können Hausbesitzer mit Speicherheizungen wie etwa Wärmepumpen ebenfalls am Regelenergiemarkt teilnehmen. Wenn zu viel Strom gefragt ist, wird ihnen die Heizung für wenige Stunden abgestellt. Wenn die Produktion die Nachfrage übersteigt, springt ihre Heizung früher an als geplant. Die Swisscom bündelt die Leistungen der Haushalte und bietet diese Swissgrid an.
Die Swisscom sagt, das System sei so programmiert, dass die Temperatur nie mehr als 0,5 Grad unter den Zielwert falle. Auch sei ausgeschlossen, dass die Heizung anspringe, wenn ein teurerer Stromtarif gelte.
Doch während das AKW für die Leistung Geld kassiert, gehen Hausbesitzer leer aus. Die Swisscom erklärt dies damit, dass der Kunde gratis eine Steuerung eingebaut erhalte, mit der er den Verbrauch optimieren könne. Zudem würde er bei Störungen alarmiert. Die Entgelte der Swissgrid würden nur die Kosten für die Teilnehmer abdecken. Im Klartext: Swisscom behält die Entschädigungen von Swissgrid für sich.