Compenswiss ist ein selbständiges Unternehmen des Bundes. Es verwaltet die Vermögen von AHV, Invalidenversicherung (IV) und Erwerbsersatzordnung (EO). Zurzeit liegen die verwalteten Reserven auf einem Rekordniveau von über 40 Milliarden Franken. Sie werden erstmals nicht mehr von einer Bank mit Sitz in der Schweiz, der UBS, überwacht. Depotbank ist neu die State Street Bank International in München (D), eine Tochtergesellschaft der State Street Corporation mit Hauptsitz in Boston (USA).
Im Parlament löste der Entscheid Kop0fschütteln aus. Der Zürcher SVPNationalrat Thomas Matter etwa wollte vom Bundesrat wissen, ob er diesen Wechsel «als zweckmässig» erachte – wo es doch um die «Sicherheit von Volksvermögen» gehe. Der Bundesrat spielte die Sache herunter: «Die Depotbank erfüllt eine rein administrative Rolle», schrieb er in seiner Antwort. Unter anderem führe sie Renditeberechnungen durch und überwache die Abwicklung von Anlagegeschäften.
Die Verwaltung des Vermögens bleibe aber Aufgabe von Compenswiss. Damit schrieb der Bundesrat fast wörtlich dasselbe wie Compenswiss im «Factsheet Depotbank», das die Bundesanstalt auf ihrer Internetseite veröffentlichte. Dort gab sie zudem an, dass die durch den Wechsel der Depotbank erzielten Einsparungen «beträchtlich» seien – ohne sie genau zu beziffern.
Die USA könnten Schweizer Gelder beschlagnahmen
Was aber weder Bundesrat noch Compenswiss sagten: Der Wechsel könnte gravierende Folgen haben, was den Zugriff auf die gut 40 Milliarden Franken betrifft. Dann nämlich, wenn die USA aus irgendwelchen Gründen Sanktionen gegen die Schweiz verhängen und Schweizer Vermögen einfrieren oder beschlagnahmen lassen sollten. Bei den USA handelt es um einen Staat, der laufend einseitige Sanktionen gegen andere Staaten, Unternehmen und Privatpersonen erlässt.
Laut Angaben des US-Finanzministeriums von 2021 waren damals weltweit 9421 Parteien mit Sanktionen belegt. Die UN-Vollversammlung sowie der UN-Menschenrechtsrat verabschieden regelmässig mit überwältigender Mehrheit aller Staaten Resolutionen gegen die einseitigen Sanktionen der USA – ohne jeden Erfolg.
Rolf Sethe, Professor für Privat-, Handels- und Wirtschaftsrecht an der Universität Zürich, stellte im «Tages-Anzeiger» klar: Die State Street und ihre Tochtergesellschaften wären gezwungen, die Sanktionen zu befolgen, welche die USA gegen Kunden von ihnen verfügen. Die Depotbank dürfte Aufträge von Compenswiss nicht mehr ausführen – zum Beispiel Aktien oder andere Vermögenswerte in ein anderes Depot zu transferieren.
«Wenn Compenswiss Vermögenswerte abziehen will, ist sie auf die Kooperation von State Street angewiesen», sagte Sethe. «Dies gilt unabhängig von der Frage, wo die Anlagen wie Aktien und Fonds physisch gelagert werden.» Das Risiko von Massnahmen der USA gegen die Schweiz besteht aktuell. Der Bund hat bei der Übernahme der CS durch die UBS Anleihen im Wert von insgesamt 16 Milliarden Franken für wertlos erklärt. Dagegen sind weltweit gerichtliche Klagen eingegangen, die noch hängig sind.
Viele Investoren fordern Schadenersatz von der Schweiz. Auch in den USA ist eine Klage geprellter Anleger gegen die Schweiz hängig. Wird sie gutgeheissen, könnte das Gericht Vermögen der Eidgenossenschaft in den USA beschlagnahmen, wenn die Schweiz nicht zahlt.
Folgen des Bankenwechsels «nicht detailliert geprüft»
Der Wechsel der Depotbank durch Compenswiss geht auf eine Empfehlung der Eidgenössischen Finanzkontrolle zurück. Sie regte 2018 an, das Mandat neu auszuschreiben. Sie machte nach eigenen Angaben keine Vorgaben dazu, ob die Ausschreibung national oder international erfolgen solle. Heute ist der Finanzkontrolle die Frage nach dem Wechsel eher unangenehm. Sie meint dazu nur, man habe «die Auswirkungen dieses Wechsels nicht detailliert geprüft».
Compenswiss erklärt, sie habe das Risiko, dass US-Behörden die Vermögen von AHV, IV und EO einfrieren könnten, im Rahmen der Ausschreibung analysiert. «Der Eintritt dieses Risikos wurde als höchst unwahrscheinlich eingestuft.»
Der Bundesrat kann intervenieren
Den Entscheid zum Wechsel der Depotbank traf die AHV-Vermögensverwalterin Compenswiss im Alleingang. Sie sei «eine öffentlich-rechtliche Anstalt des Bundes, die finanziell und organisatorisch unabhängig ist», schreibt Compenswiss. Zwar unterstehe sie der Aufsicht des Bundesrats. Dieser sei etwa für die Genehmigung des Geschäftsberichts und die Entlastung des Verwaltungsrats zuständig. Auch könne er die Mitglieder des Verwaltungsrats abberufen.
Doch die Tätigkeit der Compenswiss sei «weisungsfrei» und unterliege «keiner materiellen Kontrolle» Der Bundesrat sieht das gleich. Die Wahl der Depotbank liege «ausschliesslich in der Kompetenz von Compenswiss», hält er in seiner Antwort an SVP-Nationalrat Thomas Matter fest.
Klar ist aber auch: Der Bundesrat wählt die Verwaltungsräte. Er kann so Einfluss auf die Geschäftstätigkeit von Compenswiss nehmen und auf fragwürdige Entscheide des Compenswiss - Verwaltungsrats reagieren.