Von einem kranken Patienten kann keine Rede sein. Im Geschäftsjahr 2019 nahm die AHV zwar weniger ein, als sie ausgab: Einzahlungen von 44,1 Milliarden Franken stehen 45,3 Milliarden für Renten gegenüber. Doch dank den hohen Erträgen des riesigen Kapitals konnte sie den 1,2-Milliarden-Verlust mehr als ausgleichen: Sie erwirtschaftete an der Börse 2,8 Milliarden Franken, was zu Gesamteinnahmen von 46,9 Milliarden führte (siehe Grafik im PDF).
Unter dem Strich stieg das Vermögen der AHV somit im vergangenen Jahr um gut 1,7 Milliarden Franken. Prognostiziert hatte das Bundesamt für Sozialversicherungen einen Verlust von 335 Millionen Franken. Schon 2017 hatte das Amt mit einem Minus von 101 Millionen gerechnet – effektiv resultierte ein Gewinn von 1 Milliarde. Und 2018 prognostizierte es einen Verlust von 125 Millionen, tatsächlich resultierte ein Verlust von 2,2 Milliarden.
Die Altersvorsorge ist aber grundsolide, ihr Vermögen beläuft sich per Ende 2019 auf 45 Milliarden Franken – das ist etwa doppelt so viel wie im Jahr 2000. Dabei hatte die AHV im Jahr 2011 erst noch 5 Milliarden an die Invalidenversicherung verschenkt, und es wurden ihr 8 Milliarden an Mehrwertsteuern vorenthalten (saldo 19/2017). Sonst wäre sie noch um 13 Milliarden reicher.
AHV-Beiträge steigen ab diesem Jahr
Ein Grossteil der Reserven stammt von Einnahmen der zwischen 1946 und 1968 geborenen Babyboomer. 1964, auf dem Höhepunkt der geburtenstarken Jahrgänge, brachte jede Frau in der Schweiz statistisch gesehen je 2,68 Kinder zur Welt.
Die Generation der Babyboomer geht nun in Pension. Das AHV-Vermögen wird deshalb tendenziell vorübergehend abnehmen. Allerdings nicht sofort: Ab diesem Jahr nimmt die AHV 2 Milliarden zusätzlich ein. Auf den 1. Januar 2020 sind die Prämien gestiegen – erstmals seit
40 Jahren. Diese zusätzlichen Beiträge von Arbeitgebern, Angestellten, Selbständigen und Nichterwerbstätigen bringen 1,2 Milliarden mehr ein. Und der Bund zahlt weitere 800 Millionen dazu. Sie stammen hauptsächlich aus dem Mehrwertsteuerprozent, das die Stimmbürger in den Neunzigerjahren für die AHV bewilligten, das aber bisher von der Bundeskasse nicht ganz überwiesen wurde. Spätestens ab 2030 kommt eine neue Generation von Babyboomern ins erwerbsfähige Alter. Das bedeutet: Mehr Einzahler und steigende Prämieneinnahmen.
Die Panik des Bundesamts für Sozialversicherungen ist also unbegründet. In seinen aktuellen Finanzperspektiven rechnet es damit, dass das AHV-Vermögen im Jahr 2035 aufgebraucht sein wird.
Solch düstere Prognosen waren in den vergangenen Jahren immer wieder zu hören – bewahrheitet haben sie sich nie. So prognostizierte ein Bericht der Interdepartementalen Arbeitsgruppe Finanzierungsperspektiven der Sozialversicherungen im Jahr 1996 einen AHV- Fehlbetrag von 52 Milliarden bis 2025. Im Jahr 2000 ging der Bundesrat aufgrund der damaligen Finanzperspektiven davon aus, dass das Vermögen der AHV um 2010 zu schmelzen beginnen würde. Später passte er das Szenario auf 2020 an. Und 2016 prophezeite Marco Netzer, der damalige Präsident des AHV-Fonds, dass dieser bis 2025 um 10 Milliarden schrumpfen werde.
Es kam anders. In den letzten Jahrzehnten stieg die AHV-Reserve ständig. Das hat einen Grund: Die Zukunft der Altersvorsorge hängt von der Bevölkerungsentwicklung und dem Gang der Wirtschaft ab. Die Beschäftigung nahm in den letzten Jahrzehnten zu, die Löhne stiegen und die AHV-Erträge aus den Lohnabzügen haben sich mehr als verdoppelt. Die stetig zunehmende Zahl von erwerbstätigen Frauen und die Zuwanderung hochqualifizierter ausländischer Arbeitskräfte sind für diese Entwicklung mitverantwortlich.