Ein Hörsturz kommt fast immer ohne Vorwarnung. Von einem Moment auf den anderen hören Betroffene wie durch Watte. Meist ist nur ein Ohr betroffen, manche klagen über Schwindel und ein Klingeln im Ohr. Die Ursachen sind nicht gesichert. Unbestritten ist, dass ein Knall, eine Explosion oder grosser Lärm ihn auslösen kann. Doch er tritt auch ohne unmittelbare Einwirkung ein. Betroffene haben häufig den Verdacht, er könne mit Stress zusammenhängen. Doch dieser Zusammenhang ist unklar, wie Tobias Kleinjung von der ORL-Klinik am Universitätsspital Zürich sagt. Im Verdacht stehen auch Rauchen und starker Alkoholkonsum oder psychische Krankheiten wie Depression.
Therapie mit Doping-Substanz: Kein Nutzen, viele Nebenwirkungen
Kein Wunder, tappen die Ärzte auch bei der Behandlung im Dunkeln. Die meisten Therapien sind umstritten und zudem nicht explizit gegen Hörsturz zugelassen. Beispiel: Infusionen mit Hydroxyäthylstärke. Der Stoff erhöht den Druck in den Blutgefässen. Diese dehnen sich aus, der Blutfluss steigt an und damit auch die Versorgung des Gewebes mit Sauerstoff. Hydroxyäthylstärke wurde deshalb auch von Rettungssanitätern bei Schockzuständen eingesetzt – und bei Sportlern zum Doping. Die Substanz hat etwas an Bedeutung verloren, wie HNO-Arzt Andres Schapowal aus Landquart GR sagt: « Man setzt sie seltener ein als früher.»
Das deutsche «Arznei-Telegramm» kam kürzlich zum Schluss: Beim Hörsturz ist das Medikament kaum zu gebrauchen. Die Autoren hatten Studien durchforstet, allerdings keinen Nutzen finden können. Die Substanz hat aber happige Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Juckreiz. Dieser beeinträchtigt die «Lebensqualität der Patienten deutlich», wie das «Arznei-Telegramm» schreibt. Die Autoren kommen zum Schluss: «Wir raten von der Infusionstherapie mit Hydroxyäthylstärke ab.»
Auch als Blutersatz hat das Medikament viel zu viele Nebenwirkungen, im schlimmsten Fall versagen die Nieren. Im vergangenen Sommer wollte deshalb die europäische Gesundheitsbehörde Ema alle Produkte vom Markt nehmen. Im Oktober krebste sie zurück, Ärzte dürfen Hydroxyäthylstärke gewissen Patienten weiter verschreiben, auch solchen mit einem Hörsturz.
Infusionen mit Kortison: Wirksamkeit nur ungenügend belegt
Andere Therapien schneiden nicht besser ab. In der Schweiz setzen Hals-Nasen-Ohren-Ärzte (HNO) und Kliniken bei Hörsturz vermehrt auf Infusionen mit Kortison. Sie sollen Schwellungen und Entzündungen bekämpfen, die nach dem Ereignis auftreten können. Patienten erhalten die Infusionen während mehrerer Sitzungen. Für HNO-Arzt Daniel Bodmer vom Universitätsspital Basel ist das immerhin die Therapie «mit der besten Evidenz». Doch die unabhängige Cochrane Collaboration kam im vergangenen Juli zum Schluss: Die Belege dazu sind noch immer ungenügend.
Noch vernichtender fällt das Cochrane-Urteil zu anderen verbreiteten Therapien aus. Dazu gehören Medikamente zum Fördern der Durchblutung im Innenohr wie etwa Betaserc oder Trental. Auch in diesen Fällen seien die gemachten Studien ungenügend.
Symptome verschwinden oft nach ein bis zwei Tagen
Ähnliches gilt für die Sauerstofftherapie. Dabei kommen Patienten in eine Druckkammer und atmen Sauerstoff im Überdruck ein. Zwar wiesen Studien darauf hin, dass Patienten wieder etwas besser hören können, die Symptome des Hörsturzes bleiben jedoch erhalten. Fazit der Cochrane Collaboration: «Die klinische Bedeutung der Therapie bleibt unklar.» HNO-Arzt Schapowal geht noch weiter: «Sie ist wirkungslos.»
Auch das «Arznei-Telegramm» zieht ein ernüchterndes Fazit zur Therapie bei Hörsturz: «Unseres Wissens gibt es nach wie vor keine aussagekräftigen Belege für eine wirksame Behandlung.»
Patienten müssen deshalb hoffen, dass der Hörsturz von allein wieder verschwindet. Die gute Nachricht dazu ist: Meistens ist das auch der Fall. Das Gehör kommt oft innerhalb von 24 bis 48 Stunden zurück. Arzt Tobias Kleinjung: «Deshalb kann man auch so lange warten, bis man sich beim Arzt meldet.»
Der HNO-Arzt untersucht beim Patienten Trommelfell und Gehörgang, um andere Ursachen wie Verstopfung durch Ohrenschmalz oder einen Katarrh im Mittelohr auszuschliessen. Ein Hörtest gibt zudem Aufschluss darüber, wie stark der Hörverlust ist. Andreas Schapowal: «Es ist wichtig, dass man die Patienten beruhigt und ihnen Hoffnung macht.» Denn bei zwei von drei Betroffenen erholt sich das Gehör nach wenigen Wochen auch ohne Therapie vollständig. Hat sich die Hörleistung allerdings nach einem halben Jahr nicht wieder normalisiert, besteht nur noch wenig Hoffnung, dass sich das Gehör wieder völlig regeneriert.
Auch Medikamente haben keine grosse Wirkung
Braun Medical und Fresenius Kabi, Hersteller von Hydroxyäthylstärke, wollten sich zu ihren Produkten nicht äussern. Mepha Pharma räumt ein, die Evidenz des Medikamentes Pentoxi-Mepha sei als schwach einzustufen. Das Präparat sei auch nicht zugelassen gegen Hörsturz. Auch Abbott schreibt lediglich, Betaserc sei zur Behandlung von Schwindel zugelassen, der auf Durchblutungsstörungen des Innenohrs zurückzuführen ist. Der Tauch- und Hyperbarmediziner Jörg Schmutz bietet in Basel die Sauerstofftherapie an. Für ihn ist diese Therapie im Vergleich zu anderen noch immer die beste, darauf würden Studien hinweisen.
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