Mit einer Auflage von 5,4 Millionen Exemplaren ist das rote Abstimmungsheft – umgangssprachlich das «Bundesbüchlein» – die grösste Publikation der Schweiz. Es wird jeweils vor den Abstimmungen in alle Haushalte verschickt. Und das ist nicht für die Katz: Laut der Bundeskanzlei ist es im Vorfeld der Abstimmungen «ein wichtiges Element der Meinungsbildung». Gemäss den Umfragen nach den Abstimmungen würden in der Regel «mindestens 80 Prozent der Stimmenden die Erläuterungen des Bundes miteinbeziehen, wenn sie ihren Stimmzettel ausfüllen».
Kritiker bemängelten immer wieder, dass der Bundesrat für seine Argumente viel mehr Platz hat als Initianten und Referendumskomitees. Auch inhaltlich nahm sich der Bundesrat alle Freiheiten. Der Zürcher Rechtsprofessor Andreas Kley sagt: «Der immer wieder erhobene Vorwurf, die Erläuterungen seien manipulativ und informierten falsch, ist bundesgerichtlich bestätigt» (saldo 14/2017).
Anfang Dezember des vergangenen Jahres entschied sich der Bundesrat für ein neues Konzept bei den schriftlichen Abstimmungserläuterungen. Im August frohlockte dann die Kommunikationsabteilung der Bundeskanzlei: Das neue Layout trage den Lesegewohnheiten besser Rechnung. Und: «Initiativ- und Referendumskomitees und der Bundesrat erhalten für ihre Argumente gleich viel Platz.»
Argumente des Bundesrats haben ein starkes Übergewicht
Vor einigen Wochen erschienen die neu gestalteten Erläuterungen des Bundesrats zu den drei Vorlagen der Abstimmung vom 25. November. Für eilige Leser ist jede Vorlage auf zwei Seiten verständlich und übersichtlich dargestellt. Neu sind die Texte des Bundes wie der Initianten in gleicher Schrift und gleichem Layout gestaltet. Bisher waren die Argumente der Komitees deutlich weniger gut aufgemacht.
Und tatsächlich haben der Bundesrat und die Komitees neu gleich viel Platz für ihre Argumente – jeweils anderthalb Seiten.
Nur: Die Argumente des Bundesrates haben trotzdem noch ein starkes Übergewicht. Zusätzlich zu diesen drei Seiten wird jede Vorlage aus der Sicht des Bundesrats detailliert auf zwei bis vier Seiten erklärt. Diese Erklärungen sind alles andere als neutral.
Beispiel 1 – Hornkuh-Initiative: In der Detailbeschreibung zu dieser Volksinitiative heisst es unter anderem: «Hörner erhöhen für die anderen Tiere sowie den Tierhalter das Risiko von Verletzungen.» Die Initianten bestreiten diese Aussagen. «Wohlausgewogen kann man das Abstimmungsbüchlein nicht nennen», sagt Kaspar Schuler von der Hornkuh-Initiative. «Die Bundeskanzlei war messerscharf, als es um unseren Text ging.» Vermutlich sei die Bundeskanzlei zu nah am Bundesrat, um sachlich-ausgewogen zu informieren.
Beispiel 2 – Selbstbestimmungsinitiative: In den Detailerklärungen zu diesem SVP-Volksbegehren steht: «Die Initiative verlangt also, dass die Schweiz immer nach dem gleichen Schema vorgeht, wenn es zwischen einer Verfassungsbestimmung und einem abgeschlossenen Vertrag einen ‹Widerspruch› gibt. Das könnte in den betroffenen Bereichen zu einem vertragslosen Zustand führen.» Das sehen die Initianten anders. «Auch im neuen Abstimmungsbüchlein hat der Bundesrat mit seinen Argumenten ein Übergewicht», stellt SVP-Generalsekretär Emanuel Waeber fest.
Beispiel 3 – Gesetzliche Grundlage für die Überwachung von Versicherten: In den detaillierten Erklärungen behauptet die Bundeskanzlei: «Nötig sind als letzte Mittel verdeckte Beobachtungen, sogenannte Observationen.» Und: «Das Innere einer Wohnung oder eines Wohnhauses – zum Beispiel die Waschküche, das Treppenhaus oder das Schlafzimmer – darf nicht überwacht werden und Aufnahmen mit Drohnen oder Richtmikrofonen sind nicht erlaubt.»
Beides hält SP-Politiker Dimitri Rougy vom Referendumskomitee für irreführend: «Bundespräsident Alain Berset hat selbst gesagt, dass dieses Gesetz der Verwendung von technischen Mitteln zur Überwachung praktisch keine Grenzen setzt.» Der Bundesrat sei dabei, 5,5 Millionen Stimmbürger willentlich falsch zu informieren.
Verpasste Chance für ein faires Pro und Kontra
Fazit: Das neue Konzept für das Abstimmungsbüchlein ist eine verpasste Chance. Fair wäre es gewesen, wenn der Bundesrat auf seine Detailerklärungen verzichtet hätte, die zusätzlich zu seinen Argumenten publiziert werden. Dann könnte sich der Stimmbürger zwischen einem fairen Pro und Kontra entscheiden.