An sonnigen Tagen vergnügen sich viele Spaziergänger, Jogger und spielende Kinder im Stadtberner Bremgartenwald. Am Rand dieses Naherholungsgebiets steht die Kehrichtverbrennungsanlage Bern-Forsthaus. Eine Stichprobe von saldo zeigt: Im Waldboden hat es zu viel Dioxin.
Bodenproben entlang eines Spazierwegs im Bremgartenwald ergaben 21 Nanogramm (Milliardstel Gramm) schädliche Dioxine pro Kilo Erde. Damit war der Dioxingehalt in der Erde höher, als es der gesetzliche Grenzwert erlaubt. Dieser liegt bei 20 Nanogramm pro Kilogramm Erde. Ab diesem Wert müssen die Behörden prüfen, ob Gesundheitsrisiken bestehen und Massnahmen nötig sind. Das verlangt die bundesrätliche Verordnung über die Belastung des Bodens.
Dioxinrückstände über dem Grenzwert mass saldo auch im Fôret de Sauvabelin in Lausanne (22,6 Nanogramm pro Kilo Erde). Der dritthöchste Dioxinwert wurde im Wald nahe der Abfallverbrennungsanlage von Turgi AG festgestellt: 7,77 Nanogramm pro Kilo Erde. Ab 5 Nanogramm gilt die Bodenfruchtbarkeit langfristig als nicht mehr gewährleistet.
saldo nahm Anfang Oktober zehn Stichproben von Böden in der Nähe von Kehrichtverbrennungsanlagen und schickte die Proben in ein spezialisiertes Labor. Ausgewählt wurden Orte nahe bei Kehrichtverbrennungsanlagen, an denen sich Menschen aufhalten oder die landwirtschaftlich genutzt werden. Grund: Dioxin entsteht vor allem bei der Verbrennung von Abfall.
Gefahr für Spermienqualität und mögliche Ursache von Krebs
Dioxin wird oft als Ultragift bezeichnet. Die Stoffgruppe gilt als hochtoxisch. Hohe Dosen führten bei Tierversuchen zu Schädigungen des Nerven- und Immunsystems. Einige Dioxine können auch Krebs auslösen. Eine Untersuchung der Harvard-Universität (USA) von 2018 zeigte zudem, dass bereits kleinste Mengen von Dioxinen im Blut die Spermienqualität von Männern beeinträchtigen können.
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) geht davon aus, dass ein rund 60 Kilogramm schwerer Erwachsener pro Woche bis zu 0,8 Nanogramm Dioxin zu sich nimmt. Die maximale Höchstmenge sollte gemäss Efsa für eine solche Person aber nicht über 0,12 Nanogramm liegen.
Etwa 90 Prozent der Dioxine gelangen über Lebensmittel in den menschlichen Körper. Den grössten Teil nimmt der Mensch über tierische Lebensmittel auf, zum Beispiel über Käse, Fleisch, Fisch und Eier.
Menschen können das Gift in geringen Mengen aber auch über die Atemwege und die Haut aufnehmen. Auf die Umwelt haben Dioxine ebenfalls Einfluss. Sie beeinträchtigen etwa das Wachstum von Pflanzen.
Doch warum sind Wälder oft stärker belastet als andere Orte? Gemäss dem deutschen Umweltbundesamt bleiben Dioxine an den Blättern und Nadeln hängen. Fallen diese zu Boden, sammeln sich die Giftstoffe dort an und bleiben über Jahrzehnte im Boden. In der saldo-Stichprobe wies nur ein Ort erhöhte Werte auf, der nicht in einem Wald lag: der Spielplatz beim Zürcher Schulhaus Leutschenbach: Dort wurde ein Dioxingehalt von 5,35 Nanogramm pro Kilo Erde gemessen.
Die Kantone Bern und Waadt gehen davon aus, dass die von saldo gemessene Bodenverschmutzung aus früheren Jahren stammt. Der Kanton Bern schreibt: «Die Abfallanlage Bern-Forsthaus verfügt über eine moderne Rauchgasreinigung und erfüllt die Vorgaben für die Dioxinemissionen.»
In Lausanne sind Dioxine im Boden seit mehr als zwei Jahren ein Thema: 2021 massen Experten bis zu 640 Nanogramm Dioxin pro Kilo Erde in Böden rund um die alte Abfallverbrennungsanlage Vallon. Ab 100 Nanogramm schreibt das Gesetz eine Bodensanierung vor. Laut dem Kanton Waadt laufen dazu Abklärungen. saldo entnahm die Lausanner Probe in der Nähe der neuen Verbrennungsanlage Tridel. Diese liegt etwa einen Kilometer nördlich der alten Anlage.
Grenzwerte gelten auch für Wälder, in denen Kinder spielen
Für den Boden im Bremgartenwald sehen weder die Behörden der Stadt Bern noch des Kantons Handlungsbedarf: «Der Grenzwert für 20 Nanogramm Dioxine pro Kilo Erde gilt nur für Spielwiesen und landwirtschaftlich genutzte Flächen.» Für Waldböden gebe es keine Grenzwerte.
Nur: Kinder sind oft und gerne im Wald – egal, ob dort Spielgeräte stehen oder nicht. Das Bundesamt für Umwelt hält gegenüber saldo denn auch fest, dass die Verordnung über die Belastung des Bodens neben Spielplätzen und Gärten auch Wald- und Wiesenflächen erfasse. Denn diese seien öffentlich zugänglich und würden auch von spielenden Kindern genutzt.
So hat saldo geprüft
saldo untersuchte Böden in der Nähe von Kehrichtverbrennungsanlagen auf den Gehalt an polychlorierten Dibenzodioxinen und -furanen. Die Proben wurden im Umkreis von bis zu 500 Metern entlang von Waldspazierwegen, öffentlichen Wiesen, Spielplätzen oder landwirtschaftlichen Feldern genommen. Das Labor untersuchte jeweils die oberste, 5 bis 10 Zentimeter dicke Erdschicht.
Die Erdproben wurden mittels Gaschromatografie auf Rückstände von verschiedenen Stoffen der Dioxingruppe geprüft. Nicht alle Dioxine sind gleich giftig. Deshalb wurden sie nach ihrer Schädlichkeit gewichtet.
Besonders gefährlich ist 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin (TCDD). Dieses sogenannte «Seveso»-Dioxin entsteht bei der Verbrennung von Chlor- und Kohlenwasserstoffen. Diese kommen in gewissen Pestiziden vor. Früher wurden sie auch bei der Produktion von Kunststoffen verwendet. Das Labor fand TCDD in den Böden rund um die Kehrichtverbrennungsanlagen von Bern, Hinwil ZH, Turgi AG, Hagenholz, Zürich, und Lausanne.