Für die Strahlung von Handyantennen galten bislang klare Grenzwerte, die nie überschritten werden durften. Doch im letzten Jahr erliess das Bundesamt für Umwelt für die neuste Generation von Antennen eine neue Regelung. Die maximale Sendeleistung der sogenannten adaptiven 5G-Antennen darf zeitweise um das Zehnfache überschritten werden.
Die Handyantennen müssen die Grenzwerte im Durchschnitt nur noch über sechs Minuten einhalten. Begründung: Adaptive Antennen senden nicht gleich stark in alle Richtungen. Sie bündeln die Strahlung dorthin, wo sich die verbundenen Mobilgeräte befinden. Die Betreiber dürfen deshalb bei der Berechnung der maximalen Sendeleistung der Antenne einen Korrekturfaktor anwenden.
Der Korrekturfaktor – Freipass zur Erhöhung der Strahlung
Salt, Sunrise und Swisscom reagierten rasch und erhöhten die Strahlung flächendeckend. Das zeigen Zahlen des Bundesamts für Kommunikation. Danach betrieben die Telekomfirmen schon im vergangenen Oktober 1243 5G-Antennen «mit aktiviertem Korrekturfaktor». Im September waren es erst 4. Heute strahlen 1252 Antennen zeitweise stärker als früher.
Die meisten Kantone lassen den Antennenbetreibern freie Hand. Das ergibt eine Umfrage bei den kantonalen Umweltämtern. In 22 Kantonen sind die Betreiber nur meldepflichtig, wenn sie die Strahlung ihrer Antennen erhöhen. Appenzell Innerrhoden teilt mit, man habe das Vorgehen noch nicht festgelegt, Neuenburg beantwortete die Anfrage nicht.
Glarus verlangt Baugesuch bei geplanten Erhöhungen
Nur die Kantone St. Gallen und Glarus machen strengere Vorgaben. Glarus verlangt, dass Antennenbetreiber Baugesuche einreichen, wenn die Strahlung erhöht werden soll. Das kann dazu führen, dass die stärkere Strahlung untersagt oder verzögert wird. In diesem Fall gilt die bisherige maximale Sendeleistung weiter. Laut dem Kanton stellten die Telekomfirmen bisher kein Baugesuch.
In St. Gallen entscheiden die Gemeinden. Der Kanton empfiehlt, ein Baugesuch zu verlangen. Die Behörden wollen die Bevölkerung so vor zu viel Strahlung schützen. Rebekka Meier vom Verein Schutz vor Strahlung sagt, die Auswirkungen starker Strahlung auf die Gesundheit seien ungeklärt. Darum müsse man die Strahlung tief halten.
Die Telekomfirmen setzten sich aber über die Vorgaben der St. Galler Behörden hinweg. Im letzten Mai beantwortete die Kantonsregierung eine parlamentarische Anfrage zur Umsetzung der Strahlenverordnung. Demnach erhöhten Swisscom und Sunrise im August und September 2021 bei vielen Antennen eigenmächtig die Sendeleistung und teilten das den Gemeinden nicht mit. Nachforschungen des kantonalen Umweltamts ergaben, dass 78 Antennen in 35 Gemeinden nicht korrekt betrieben wurden.
saldo-Recherchen zeigen: St. Gallen, Gossau und Wil verpflichteten die Betreiber von 30 Antennen, die Strahlung zu verringern. Die Gemeinden Wartau, Oberriet und Oberuzwil stellen in Aussicht, das ebenfalls zu tun. Swisscom hat die Verfügungen der Stadt St. Gallen angefochten. Das kantonale Verwaltungsgericht wies die Beschwerde aber letzten Dezember ab. Es hielt fest: Die Gemeinden dürfen ein Baugesuch verlangen. Swisscom lobbyiert nun für Aufweichungen. Im Juni stattete die Geschäftsleitung der zuständigen Regierungsrätin Susanne Hartmann einen Besuch ab – vorerst ohne Ergebnis.
Salt, Sunrise und Swisscom halten ihr Vorgehen für zulässig
Die meisten Gemeinden schreckten davor zurück, die Antennenbetreiber zu einer Reduktion der Strahlung zu verpflichten. Im Kanton St. Gallen strahlen heute rund 50 Antennen stärker als früher. In den übrigen Kantonen sind es gut 1100. Eine Mehrheit der Kantone argumentiert, dass eine neue Bundesverordnung die Erhöhung der Strahlung als Bagatelle taxiere. Darum könne man keine schärferen Vorgaben machen.
Salt, Sunrise und Swisscom schreiben, man halte es bei allen bestehenden Antennen für zulässig, die maximale Sendeleistung zu erhöhen. Swisscom gibt an, Anpassungen im Kanton St. Gallen dem kantonalen Amt statt den zuständigen Gemeinden gemeldet zu haben. Mittlerweile informiere man die betroffenen Gemeinden direkt und habe die Sendeleistung der Antennen reduziert, wo dies verfügt worden sei. Die Firmen versichern: In den Gemeinden, die das verfügten, habe man die Sendeleistung wieder reduziert. Sunrise behält sich aber vor, sie wieder zu erhöhen.