Anfang November hat der Bundesrat entschieden, dass die Pensionskassen nächstes Jahr die Altersguthaben in der obligatorischen 2. Säule weiterhin mit 1 Prozent verzinsen müssen. Das Obligatorium betrifft den Lohnanteil zwischen 24 676 und 84 600 Franken.
Beim aktuellen Zinsentscheid hält sich der Bundesrat das erste Mal seit 13 Jahren nicht an die Empfehlung seiner Expertenkommission. Sie sprach sich für eine Senkung auf 0,75 Prozent aus. Für die Versicherten macht die Differenz knapp 1,3 Milliarden Franken pro Jahr aus (saldo 14/2018). Der Bundesrat lehnte die Senkung unter anderem deshalb ab, weil der Schweizer Aktienindex SPI im vergangenen Jahr um 19,9 Prozent zulegte. Ein grosser Teil der Altersvorsorge steckt in Schweizer Aktien.
Der Entscheid bringt den Schweizerischen Versicherungsverband in Rage: «Der Bundesrat negiert sämtliche massgebenden Indikatoren und fällt einen sachlich nicht nachvollziehbaren politischen Entscheid», kritisiert er. Die Lebensversicherer spielen in der 2. Säule eine bedeutende Rolle. Sie verwalten einen Fünftel aller Altersguthaben der 2. Säule – gut 200 Milliarden Franken. Von den insgesamt 4 Millionen aktiven Versicherten haben 1,2 Millionen ihre 2. Säule bei privaten Lebensversicherungen. Der Rest ist bei Pensionskassen.
Die Aufregung des Versicherungsverbandes ist unbegründet. Die für Angestellte obligatorische Pensionskasse ist für die Lebensversicherer ein gutes Geschäft. Vergangenes Jahr verdienten sie damit 1,7 Milliarden Franken. Spitzenreiter war der französische Axa-Konzern mit 535 Millionen Franken vor der Swiss Life mit 342 Millionen (siehe Grafik im PDF).
Swiss Life versteckt 9,4 Millarden Reserven
Ein Blick in die Bücher der acht im Geschäft mit der 2. Säule tätigen Lebensversicherer zeigt zudem, dass diese im Geld schwimmen. Aus den von der Finanzmarktaufsicht (Finma) publizierten Zahlen geht hervor:
Die versteckten Reserven betrugen am 31. Dezember 2017 insgesamt 21,77 Milliarden Franken (siehe Tabelle links). Das ist die Differenz zwischen den in den Geschäftsberichten der Lebensversicherer eingesetzten Buchwerten von Liegenschaften und Wertpapieren zu den tatsächlichen Verkehrswerten. Spitzenreiter ist Swiss Life. Der Buchwert ihrer Kapitalanlagen betrug 68,9 Milliarden Franken – der Marktwert hingegen lag bei 78,3 Milliarden. Das ergibt Reserven von 9,4 Milliarden Franken. Dahinter folgt die Axa mit Reserven von 6,1 Milliarden Franken.
Hochrentables Geschäft mit den Risiken Tod und Invalidität
Neben dem Geschäft mit dem Alterssparen ist auch die Versicherung der Risiken Tod und Invalidität höchst lukrativ. Mit den Pensionskassenbeiträgen sorgen Angestellte und Arbeitgeber nämlich nicht nur fürs Alter vor. Sie zahlen auch Prämien für Versicherungsleistungen für den Fall, dass ein Angestellter vor dem Pensionsalter invalid wird oder stirbt. Das sind die sogenannten Risikoprämien. Sie sollten eigentlich über lange Frist in etwa den ausbezahlten Invaliditäts- und Todesfallleistungen entsprechen. Doch in der Praxis sieht es ganz anders aus: Die Lebensversicherer kassieren jedes Jahr fast doppelt so hohe Risikoprämien, wie sie für Risikoleistungen benötigen.
Allein von 2005 bis 2017 nahmen sie in dieser Sparte 36 Milliarden Franken Prämien ein, bezahlten aber für Invaliditäts- und Todesfälle nur 19 Milliarden Franken. Das heisst: In zwölf Jahren machten die Lebensversicherer bei den Risikoprämien 17 Milliarden Franken Gewinn. Das sind im Durchschnitt 1,4 Milliarden pro Jahr.
230 Millionen Franken Provision fürs Anwerben neuer Verträge
Für Matthias Kuert, Leiter Sozialpolitik bei Travail Suisse, ist besonders stossend, «dass die Lebensversicherer ohne eine besondere Leistung und ohne grosses unternehmerisches Risiko viel Geld mit überhöhten Prämien verdienen können».
Swiss Life etwa nahm letztes Jahr 678 Millionen Franken Risikoprämien ein und gab 368 Millionen für Leistungen aus. Unter dem Strich blieben dem Unternehmen 310 Millionen Gewinn. Axa kassierte 580 Millionen und gab 317 Millionen aus. In der Kasse blieben 263 Millionen. Alle Lebensversicherer nahmen 2017 laut Finma 2,5 Milliarden Prämien ein, bezahlten 1,5 Milliarden Leistungen – es blieb eine Milliarde Franken Bruttogewinn.
Übrigens: Weil sich mit der 2. Säule so viel Geld verdienen lässt, zahlen die Versicherungen ihren Aussendienstlern, Maklern und Brokern hohe Provisionen, wenn sie neue Pensionskassenverträge mit Arbeitgebern an Land ziehen. Letztes Jahr betrugen diese Belohnungen 230 Millionen Franken. Am meisten Provisionen bezahlten Axa (77 Millionen) und Swiss Life (52 Millionen Franken).