Mit 55 wollte sich eine Frau aus dem Kanton Zürich etwas Besonderes gönnen. Sie brauchte eine neue Brille und suchte dafür Ende 2015 an ihrem Wohnort einen alteingesessenen Optiker auf. Dort wählte sie eine edle Fassung aus braunem Büffelhorn für 650 Franken. Der Geschäftsinhaber mass ihre Augen persönlich aus. Dann fertigte er für 1150 Franken Gläser an. Insgesamt kostete die Gleitsichtbrille 1800 Franken.
Doch als die Frau die Brille aufsetzte, erschrak sie: Sie sah damit weder in die Ferne noch auf kurze Distanz gut. Die Frau warf dem Optiker unsorgfältige Arbeit vor und weigerte sich, die Brille zu bezahlen. Dieser schickte die Brille daraufhin an eine Spezialfirma, um sie dort überprüfen zu lassen. Doch auf dem Weg dorthin ging die Fassung kaputt. Der Optiker bot der Frau eine Ersatzbrille an. Sie lehnte ab.
Jetzt sitzen die beiden ohne Anwälte vor dem Einzelrichter am Bezirksgericht Hinwil ZH. Der Optiker fordert von seiner Kundin den Kaufpreis von 1800 Franken.
Der Geschäftsinhaber gibt sich gelangweilt. In rund zehn Prozent der Fälle sähen Kunden mit einer neuen Brille eine Weile unscharf, sagt er. Das sei normal und habe nichts mit der Qualität des Schliffs der Gläser zu tun. «Die Augen gewöhnen sich mit der Zeit daran. Danach sieht man einwandfrei.» Er habe seine Arbeit von einer Spezialfirma kontrollieren lassen. «Diese bestätigte mir, dass ich die Gläser richtig eingeschliffen hatte.» Die Brillenfassung sei auf dem Postweg leider kaputtgegangen, deshalb habe er der Kundin die Reparatur der Brille oder eine neue Brille angeboten. «Doch sie wollte davon nichts wissen.» Mehr könne er beim besten Willen nicht machen.
Die Frau beantragt die Abweisung der Klage. Sie müsse doch nicht 1800 Franken für ein mangelhaftes Produkt zahlen. «Ich trage bereits seit 40 Jahren Brillen. Ich hatte noch nie Probleme bei einem Wechsel.» Diese Brille sei klar fehlerhaft gewesen. Sie habe dem Optiker klipp und klar gesagt, dass sie unbrauchbar sei.
Eine Ersatzbrille habe sie abgelehnt, weil der Optiker diese frühestens in sechs Wochen hätte liefern können. «Das ist viel zu lange für jemanden, der auf eine Brille angewiesen ist.» Deshalb sei sie vom Vertrag zurückgetreten und habe bei einem anderen Optiker eine Brille gekauft. «Das ging ganz schnell und problemlos. Jetzt sehe ich wieder perfekt.»
Nach einer kurzen Pause erklärt der Richter, wie er die Sache sieht. «Die Beklagte hat gleich nach dem Anprobieren ernsthafte Mängel geltend gemacht und die Brille nicht entgegengenommen.» Das heisst: Die Brille gehörte nicht der Frau, sondern dem Optiker. Den Schaden, der beim Verschicken passiert sei, müsse der Optiker deshalb selber tragen.
Der Richter rät ihm, die Klage zurückzuziehen. Der Optiker erklärt sich einverstanden. Die Gerichtskosten von 200 Franken teilen sich Kläger und Beklagte.
Bestellte Waren genau prüfen
Wer den Auftrag gibt, eine bestimmte Sache für ihn anzufertigen, schliesst einen Werkvertrag ab. Bei Erhalt ist der Besteller verpflichtet, die Ware genau zu überprüfen. Mängel sind unverzüglich zu rügen, sonst gilt das Werk als akzeptiert. Und wer akzeptiert, muss auch zahlen. Das Eigentum an der Sache geht erst mit der Übernahme der Anfertigung auf den Besteller über. Das Risiko einer Beschädigung trägt immer der Eigentümer. Geht zum Beispiel eine bestellte Brille kaputt, bevor sie von der Bestellerin akzeptiert worden ist, muss der Hersteller für den Schaden aufkommen.