Rente bei Erwerbsunfähigkeit: So heissen im Fachjargon die Lohnausfallzahlungen nach Unfall und Krankheit, die mit einer Erwerbsunfähigkeits-Police versichert sind. Doch in der Bezeichnung «Erwerbsunfähigkeit» liegt ein Haken, den wohl die wenigsten Versicherten kennen.
Das musste eine medizinische Masseurin erfahren, die nach einem Unfall ein Schulterproblem hatte und deswegen mehrere Jahre lang nicht mehr massieren konnte. Sie hatte eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung bei der Swiss Life abgeschlossen – doch diese zahlt nichts. Ärzte hatten ihr ein Schulterproblem und damit eine berufliche Einschränkung als Masseurin attestiert. Gleichzeitig schrieben sie aber, in einer «angepassten Tätigkeit» oder in einer «Bürotätigkeit» sei sie weiterhin zu 100 Prozent arbeitsfähig.
In der Ablehnung schrieb Swiss Life: «Arztzeugnisse belegen eine Arbeitsunfähigkeit im Beruf. Versichert ist aber die Erwerbsunfähigkeit.»
Die Ablehnung der Swiss Life beruht auf dem Kleingedruckten der Police. Gemäss dem Wortlaut ist eine Person dann erwerbsunfähig, wenn sie wegen Krankheit oder Unfall ausserstande ist, ihren Beruf «oder eine andere Erwerbstätigkeit auszuüben, die ihrer Lebensstellung, ihren Kenntnissen und Fähigkeiten angemessen ist».
Das ist keine Spezialität von Swiss Life. Alle anderen Versicherer definieren die Erwerbsunfähigkeit gleich oder ähnlich. Einige legen zusätzlich fest, die «andere Erwerbstätigkeit» müsse zumutbar sein. Einige schreiben sogar, die «andere Erwerbstätigkeit» sei auch dann noch zumutbar, wenn es dafür eine Umschulung brauche.
Berufsunfähigkeit ist in der Schweiz nicht abgedeckt
Fazit: Die in der Schweiz übliche Erwerbsunfähigkeitsversicherung deckt die eigentliche Berufsunfähigkeit nicht ab – anders als etwa in Deutschland, wo es die spezielle Berufsunfähigkeitsversicherung gibt. In Deutschland wäre eine Masseurin mit der richtigen Police versichert, falls sie wegen Schulterproblemen nicht mehr massieren kann. In der Schweiz muss sie einen Job auf einem anderen Gebiet suchen.
Ein anderes Beispiel: Wenn ein versicherter selbständiger Schreiner nicht mehr schreinern kann, muss er beispielsweise in den Aussendienst gehen. Die Einzelfirma, die er aufgebaut hat, muss schliessen. Er glaubte, gut versichert zu sein – aber sein Geschäft ist dennoch am Ende. Das gesundheitsbedingte Geschäftsrisiko von gesundheitlich angeschlagenen Selbständigerwerbenden ist nicht gedeckt.
Betroffen sind also Leute, die auf eine bestimmte Art teilinvalid sind und ihren angestammten Beruf nicht mehr ausüben können – aber grundsätzlich immer noch arbeiten können. Sie wähnen sich in falscher Sicherheit.
Die entscheidende Frage ist allerdings: Wann und bis zu welchem Alter ist ein Jobwechsel noch zumutbar? Welche «andere Erwerbstätigkeit» ist möglich, die der bisherigen «Lebensstellung» und den vorhandenen «Kenntnissen und Fähigkeiten» entspricht?
«Swiss Life schleicht sich aus der Verantwortung»
Bei der erwähnten Masseurin sind jedenfalls Zweifel an der Zumutbarkeit einer beruflichen Neuorientierung angebracht. Zum Zeitpunkt des Unfalls war sie 50 Jahre alt. Sie sagt: «Für einen Bürojob hatte ich keine Kenntnisse. Wer stellt so eine Person ein?» Und sie fügt an: «Wie soll ich einen Job finden, wenn ich den rechten Arm nicht bewegen kann? Selbst das Auffüllen von Regalen bei der Migros wäre nicht möglich gewesen.»
«Die Swiss Life schleicht sich aus der Verantwortung», ärgert sich Rechtsanwalt Fred Rueff aus Pfäffikon SZ, der die Frau berät.
Der Anwalt bringt noch ein weiteres Argument ins Spiel. Seine Klientin konnte vier Jahre lang nicht als Masseurin arbeiten. Es hatte sehr lange gedauert, bis die Ärzte ihr Leiden richtig diagnostiziert und sie endlich erfolgreich operiert hatten. Nach vier Jahren war sie wieder voll einsatzfähig. «Es ist unrealistisch, dass meine Klientin im Zeitraum, als sie Schulterbeschwerden hatte, eine Bürostelle bekommen hätte. Und eine Umschulung für eine solch kurze Zeit wäre nicht zumutbar gewesen.»
In einer vergleichbaren Situation ist ein Berufschauffeur aus dem Raum Luzern, der bei einem Unfall Schulter- und Beckenverletzungen erlitt. Er hat bei der Vaudoise eine «Rente bei Erwerbsunfähigkeit» versichert, doch die Vaudoise zahlt nicht. Ihr Argument: In einer «angepassten Tätigkeit» bestehe volle Arbeitsfähigkeit. Der Fall ist vor Gericht hängig.
Der Clou dabei: Von der staatlichen Invalidenversicherung (IV) erhielt der Mann ein Jahr lang sogar eine ganze IV-Rente. Doch Entscheide der IV sind für die Privatversicherer nicht bindend: Privat- und Sozialversicherungsrecht sind zwei sehr unterschiedliche Rechtsgebiete.
Lohnausfall versichern: Das müssen Sie wissen
Selbständigerwerbende können sich vor vorübergehenden Einkommensausfällen wegen Krankheit oder Unfall mit einer Taggeldversicherung schützen. Diese zahlt in der Regel höchstens 720 Taggelder.
Zum Schutz vor noch längerer oder endgültiger Erwerbsunfähigkeit verkaufen die Versicherungen sogenannte Erwerbsunfähigkeits-Policen. Diese zahlen Invalidenrenten – meist längstens bis zum Pensionsalter.
Achten Sie darauf, dass Sie beim Abschluss einer Erwerbsunfähigkeitsversicherung Verdienstausfälle in Ihrem Beruf versichern (zum Beispiel als Arzt, Anwalt, Architekt usw.). Sie sollten unbedingt das Kleingedruckte lesen und allenfalls entsprechend abändern. Lassen Sie sich auf der Police ausdrücklich vermerken, dass Sie gegen Erwerbsausfall in Ihrem Beruf gedeckt sind.
Beim Abschluss müssen Sie einen Gesundheitsfragebogen ausfüllen. Machen Sie wahrheitsgemässe Angaben!
Schliessen Sie die Erwerbsunfähigkeitsversicherung als separate Police ab und nicht in Kombination mit einem Sparprozess.
Angestellte brauchen nur dann eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung, wenn die Invalidenrente der Pensionskasse zusammen mit der IV-Rente ungenügend ist. Die Pensionskasse kann Ihnen dazu Auskunft geben.
Falls Sie die Versicherung in der steuerbegünstigten Säule 3a abschliessen, können Sie die -Prämienzahlungen vom steuerbaren Einkommen abziehen – auch wenn es eine reine Risikoversicherung ist.
Prämienvergleiche finden Sie unter Vermoegens-zentrum.ch. Beispiel: Ein 35-jähriger Nichtraucher zahlt für eine Rente von 2000 Franken pro Monat eine Jahresprämie von rund 1000 Franken.
K-Tipp-Ratgeber: Wichtige Infos zum Thema Erwerbsunfähigkeitsversicherung finden Sie im K-Tipp-Ratgeber «So sind Sie richtig versichert».