Leistungen von öffentlichem Interesse oder für die Allgemeinheit sind Teil der Grundversorgung. Die Post gehört zu 100 Prozent dem Bund. Sie muss die landesweite Zustellung von adressierten Briefen und Paketen gewährleisten und den Betrieb eines flächendeckenden Poststellennetzes anbieten. Ihre Tochter Postfinance muss laut Gesetz allen Bewohnern und Unternehmen in der Schweiz das Eröffnen und Führen eines Kontos für ihren Zahlungsverkehr ermöglichen.
Das ist dem Bundesrat zu wenig. Im September hat er entschieden, dass Postfinance neu selber Kredite und Hypotheken anbieten kann. Das soll dem Bund mehr Geld in die Kassen spülen und den Wert des Unternehmens steigern. Möglicherweise, um es später an die Börse zu bringen – und einen möglichst hohen Preis dafür zu erhalten.
Die Swisscom schüttete 32 Milliarden an Aktionäre aus
Die Swisscom hat gezeigt, wie lukrativ das für den Bund sein kann. Er hält 50,95 Prozent der Aktien des ehemaligen Staatsbetriebes PTT. Vor genau 20 Jahren kam das Telekommunikationsunternehmen an die Börse. In diesem Zeitraum strichen die Aktionäre zum Beispiel über Dividenden 32 Milliarden Franken ein. Bezahlt haben das die Kunden.
Mehr Geld für die Aktionäre ist auch das Ziel der Post – und somit auch der Postfinance. Aktionär ist der Bund. Ihm überwies die Post in den vergangenen Jahren jeweils als Dividende 200 Millionen Franken. Der Rest des Gewinns fliesst ins Eigenkapital. Das erhöht ihren Wert. Ende 2017 betrug es 10,7 Milliarden Franken. Davon sind 6,6 Milliarden in den Büchern der Postfinance.
Je mehr Bankgeschäfte die Postfinance betreibt, desto höher muss das Eigenkapital sein. Als systemrelevante Bank schaut ihr die Finanzmarktaufsicht Finma jetzt schon besonders genau auf die Finger.
Privatkunden müssen im Jahr 60 Franken mehr bezahlen
Die Post hat ein Luxusproblem: Im ersten Halbjahr 2018 betrug der Gewinn 125 Millionen Franken. Das sind zwar zwei Drittel weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres, aber immer noch viel Geld. Doch das genügt dem Unternehmen nicht.
Deshalb setzt die Postfinance auf eine neue Strategie. Wie andere Banken will sie Kredite und Hypotheken anbieten. Doch das hat einen Haken: Der Zürcher Finanzprofessor Urs Birchler stellte in einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen fest, dass im Kredit- und Hypothekargeschäft der Markt gesättigt ist. Heisst: Wenn die Post in den Markt eingreift, müsste sie das mit günstigen Preisen machen. Das bedeutet, dass diese Geschäfte wenig Ertrag abwerfen.
Doch die Postfinance geht einen anderen Weg: Sie bittet lieber ihre traditionellen Postkunden zur Kasse. Ab Anfang des nächsten Jahres müssen alle Privatkunden 60 Franken im Jahr für die Kontoführung zahlen. Bis jetzt zahlte nur, wer weniger als 7500 Franken auf dem Konto hatte. Laut Postfinance sind nicht weniger als 950 000 Kunden betroffen. Wenn niemand kündigt, nimmt die Postfinance zusätzliche 57 Millionen ein.
Das ist nicht alles: Für monatliche Auszüge auf Papier müssen Postkunden neu 12 Franken im Jahr zahlen. Das sind weitere Mehreinnahmen von 8,4 Millionen Franken. Auch die Auskunft über den eigenen Kontostand per Telefon oder am Schalter ist nicht mehr gratis: Sie kostet neu 4 Franken.
«Chefs haben keine Lehren aus dem Postautoskandal gezogen»
Die Postfinance möchte mit den neuen Gebühren vor allem ihre Kunden zum Investieren bewegen. Deshalb erlässt sie allen, die mindestens 25 000 Franken in Fonds anlegen, die Gebühren für die Kontoführung.
Für Benjamin Manz vom Internetvergleichsdienst Moneyland.ch ist klar: «An solchen Anlagen verdient Postfinance mehr Geld.» Für die Kunden aber sind Anlageprodukte wie Aktien und Fonds riskanter. «Insofern ist dieser Anreiz – zumindest für einen Staatsbetrieb – eher problematisch», kritisiert Manz.
Postfinance-CEO Hansruedi Köng rechtfertigt die neuen Gebühren: «Ich bin mir bewusst, dass die neuen Preise unseren Kunden verständlicherweise wenig Freude bereiten.» Die Post biete jedoch Alternativen, mit denen die Kunden die neuen Gebühren teilweise vermeiden könnten.
Der Berner Staatsrechtsprofessor Markus Müller zieht aus dem happigen Gebührenaufschlag der Postfinance den Schluss, «dass die Post-Chefs aus dem Postauto-Skandal keine Lehren gezogen haben». Es könne doch nicht sein, «dass ein
staatliches Finanzinstitut, das dem öffentlichen Interesse, also der Allgemeinheit, dienen muss, die Bürger zur Kasse bittet, um mehr Gewinn zu erzielen».
Angesichts der Margenerosion und des markanten Gewinnrückgangs könne es sich Postfinance aber nicht mehr leisten, Dienstleistungen zu Preisen anzubieten, die ihre Kosten bei Weitem nicht mehr decken.