Die Äste biegen sich unter der Last der Früchte. Martin Gschwind macht einen Rundgang durch seine Anlage. Viele Äpfel sind noch grün. Gelegentlich pflückt er einen, sucht nach den braunen Wurm-Löchern des Apfelwicklers, nach schwarzem Schorf oder dunklen Regenflecken – drei der grössten Probleme im biologischen Apfelanbau. Er ist zufrieden: «Schädlinge sind dieses Jahr selten.» Die Ernte beginnt bald. Er rechnet mit über 30 Tonnen Ertrag, so viel wie selten zuvor. Über einen Zwischenhändler verkauft er seine Äpfel an Migros und Coop.
Kein Baum ist höher als 3,20 Meter
Der 58-Jährige baut auf dem «Ittentalhof» oberhalb von Magden AG seit 24 Jahren Bio-Äpfel an. Rund 3500 Niederstammbäume stehen etwas abseits in neun Reihen auf einem Feld, das zweieinhalb Mal so gross ist wie ein Fussballplatz. Zum Schutz gegen Hagel sind Netze gespannt. Kein Baum ist höher als 3,20 Meter. Niederstammbäume sind im Bio-Obstbau längst die dominante Baumart. Denn sie lassen sich leichter pflegen, auch das Ernten ist einfacher als bei Hochstammbäumen.
An über der Hälfte der Bäume hängen wenig krankheitsanfällige Sorten wie Chestnut, Nela, Resi und vor allem Topaz. Auf einem Drittel der anfällige Gala-Apfel. Gschwinds Vorgehen ist typisch, sagt Andreas Häseli vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Frick AG: «Die Wahl robuster, resistenter Apfelsorten ist das A und O im Bio-Anbau.» Nicht-BioBauern könnten es sich erlauben, mehr ertragreiche, aber anfälligere Sorten anzubauen: «Sie haben für alle Krankheiten und Schädlinge eine Pestizidlösung.»
Gegen Regenfleckenpilze benutzt Gschwind Backpulver
Gschwind verzichtet aus Überzeugung auf Pestizide, Hormone und Dünger aus der Agrochemie: «Ich will giftfreies Obst produzieren und die Natur erhalten.» Er düngt nur mit Mist aus seinem Stall. Die Mikroorganismen im Boden könnten Krankheitserreger besser in Schach halten. Den Apfelschorf bekämpft er mit Schwefel, Tonerde und Kupfer, Regenflecken pilze mit einem Backpulverpräparat und die Mehlige Apfelblattlaus mit einem Extrakt des indischen Niembaums. Gegen die Obstmade setzt er einen natürlichen Krankheitserreger ein, den Granulosevirus.
Der Bio-Bauer benutzt nur pflanzliche und mineralische Spritzmittel, welche die Branchenorganisation Bio Suisse erlaubt. Sie seien für die Natur «nicht heikel». Bis auf eine Ausnahme: Kupfer reichert sich im Boden an und kann laut dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau in hoher Konzentration Bodenlebewesen beeinträchtigen. Der «K-Tipp» fand bei einem Test in 29 Bio-Gemüse-Proben Rückstände des Metalls («K-Tipp» 19/2016). Gschwind setzt nur halb so viel ein wie erlaubt.
Der Haken an Bio-Spritzmitteln: Ein Regenguss kann sie abwaschen. Bei anfälligen Sorten muss der BioBauer daher öfter spritzen als der konventionell arbeitende Landwirt.
Bio-Obstbau ist viel Handarbeit. Zum Beispiel dünnt Gschwind im Frühjahr die Früchte per Hand aus. Das ist nötig, sonst bleiben alle Äpfel mickrig, und die Bäume tragen im nächsten Jahr kaum Früchte. Konventionell arbeitende Kollegen rollen einmal mit dem Traktor durch ihre Plantage – und verspritzen Hormon-präparate, die den grössten Teil der Blüten abfallen lassen. Hormone sind im Biolandbau verboten.
Am westlichen Ende der Anlage entdeckt Gschwind ein abgestorbenes Bäumchen. Er reisst es aus. Die Wurzeln sind von Mäusen kahlgefressen. Grund: Das Gras um den Baum war zu hoch – Mäuse nisteten darin. Den Bauern ärgert seine Nachlässigkeit. Er stellt zwar regelmässig Mäusefallen auf. Wegen der Dürre jätete er im Sommer nicht alle Baumstreifen ausreichend. Konventionell arbeitende Bauern lösen auch dieses Problem mit Gift: Sie rotten Mäuse mit giftigen Ködern aus und das Unkraut mit Glyphosat. Das umstrittene Herbizid steht im Verdacht, Krebs zu erregen («K-Tipp» 10/2015).
«Bio-Bauern haben die schwächeren Waffen als konventionelle Produzenten», sagt Experte Häseli. Sie müssten tendenziell mehr arbeiten. Im Durchschnitt hätten sie 20 bis 30 Prozent weniger Ertrag pro Fläche. Andererseits zahlt der Zwischenhändler an Martin Gschwind pro Kilogramm Äpfel je nach Sorte Fr. 1.90 bis Fr. 2.50. Das ist doppelt so viel, wie ein konventioneller Obstbauer für Golden Delicious oder Jonagold bekommt. Gschwind sagt: «Ich habe ein gutes Auskommen.» Zahlen nennt er nicht. 40 Prozent seines Einkommens seien Direktzahlungen, vor allem für artenreiche Flächen.
Übrigens: Der Grossteil des Ladenpreises bleibt beim Händler. Im Juni 2018 kostete laut dem Bundesamt für Landwirtschaft ein Kilo Bio-Äpfel im Laden Fr. 6.68. Das ist drei Mal mehr, als Gschwind erhält. Dennoch lohnt es sich, mehr zu bezahlen: Der «Gesundheitstipp» liess 30 Äpfel aus den Regalen der Grossverteiler auf Rückstände testen. Nur 9 von 30 Äpfeln waren frei von Pestiziden, darunter waren fünf Bio-Äpfel («Gesundheitstipp» 11/2017).