Der Gerichtssaal in Andelfingen ZH ist gut besucht: Neben den Parteien, dem Richter und zwei Gerichtsschreibern sind auch einige Zuschauer im Saal. Der Kläger erscheint ohne Anwalt. Der Beklagte ist in Begleitung eines Anwalts.
Der Einzelrichter beginnt die Gerichtsverhandlung mit einem Hinweis an das Publikum: «Sollte jemand von Ihnen in diesem Verfahren als Zeuge in Frage kommen, soll er den Gerichtssaal verlassen – sonst wäre er nicht mehr unbefangen.» Darauf verlassen mehrere Besucher den Saal. «Und schon haben sich die Reihen gelichtet», kommentiert der Richter.
Zuerst begründet der Käufer des Pferdes, warum er vom Verkäufer 16 000 Franken plus 9600 Franken Spesen fordert: Ihm sei die Stute für 18 000 Franken als «braves Freizeitpferd» verkauft worden. Doch schnell habe sich gezeigt, dass das Tier an gesundheitlichen Problemen litt. «Es stellte sich als unberechenbar heraus. Dauernd brannte es durch.» Er habe das Pferd deshalb umgehend wieder auf den Hof des Verkäufers hinter der deutschen Grenze zurückgebracht. Mit diesem sei vereinbart worden, dass er für das Pferd einen andern Käufer suche und dem Kläger danach den Kaufpreis von 18 000 Franken zurückzahle.
Nach kurzer Zeit habe ihm der Verkäufer aber mitgeteilt, er solle das Pferd wieder holen, weil die Zukunft des Stalls unsicher sei. Also habe er das Pferd zurückgeholt.
Kläger: «Ich bin getäuscht worden»
Trotzdem will er nun einen Teil des Geldes zurück: «Ich bin absichtlich über den Gesundheitszustand des Pferdes getäuscht worden», behauptet er. Die Spesen verlangt er, weil er unter anderem unerwartet eine zweite Zollrechnung erhielt. Diese müsse der Verkäufer übernehmen.
Beklagter: «Es geht um einen Viehkauf»
Das sieht dieser ganz anders. Sein Anwalt verlangt die Abweisung der Klage. Der Kauf eines Pferdes sei juristisch gesehen ein sogenannter «Viehkauf». Beim Viehhandel hätte der Käufer laut Gesetz innert neun Tagen Mängelrüge erheben müssen. Das habe der Käufer nicht getan. Deshalb müsse der Verkäufer für allfällige Mängel nicht mehr geradestehen. Der Anwalt zitiert die entsprechenden Gesetzesbestimmungen. Zudem handle es sich um einen internationalen Sachverhalt, die Schweizer Gerichte seien folglich gar nicht zuständig. Und dann müsse noch erwähnt werden, dass der Käufer das Pferd weiterverkauft habe. Zu den Spesen sagt der Anwalt: «Nutzen und Gefahr sind schon bei der ersten Übergabe des Pferdes auf den Käufer übergegangen.» Deshalb gehe die zweite Zollrechnung zulasten des Käufers.
Richter: «Nehmen Sie sich einen Anwalt»
Der Käufer schaut verwirrt und blättert unsicher in seinen Unterlagen. Er kennt die Gesetzesartikel nicht, die der Anwalt gerade aufgezählt hat. Der Richter schickt die Parteien in die Kaffeepause, bevor er dem Käufer wieder das Wort erteilt.
Nach dem Unterbruch empfiehlt der Richter dem Käufer dringend, sich ebenfalls einen Anwalt zu nehmen. «Ich fände es im Moment nicht fair, die Verhandlung so fortzuführen.» Der Käufer solle es sich gut überlegen und sich dann wieder beim Gericht für eine Fortsetzung der Verhandlung melden.
Der Kläger folgt dem Rat des Richters und nimmt sich einen Anwalt. Doch es kommt zu keiner zweiten Verhandlung: Der Käufer überlegt es sich anders und zieht seine Klage zurück.
Prozessregeln: Für Laien ein Stolperstein
In vielen Gerichtsverfahren über grössere Geldforderungen entscheiden die Richter gestützt auf den Sachverhalt, der ihnen von den Parteien geschildert wird. Im Unterschied etwa zu Scheidungsverfahren müssen die Gerichte die wesentlichen Fakten nicht näher abklären. Sie müssen auch nicht unbedingt Fragen stellen. Und sie dürfen eine nicht rechtskundige Partei nicht beraten, wenn sie prozessuale Fehler macht.
Für Laien hat das erhebliche Konsequenzen: Es ist gut möglich, dass sie einen Prozess nur deshalb verlieren, weil sie nicht die richtigen Anträge gestellt haben oder den für die Beantwortung der Rechtsfragen wichtigen Sachverhalt unvollständig schildern. Auch müssen Anträge, Behauptungen und Bestreitungen rechtzeitig vorgebracht werden. Sie sind nur in einer bestimmten Verfahrensphase möglich.
Diese prozessualen Regeln sind tückisch. Steht auf der Gegenseite ein Anwalt, scheitern Laien meist schon an den prozessualen Regeln. Deshalb gilt: In Zivilprozessen sollte man nie ohne Anwalt prozessieren, wenn die Gegenseite anwaltlich vertreten ist. Deshalb riet der Richter im obigen Fall dem Kläger, sich einen Anwalt zu nehmen.