Viele Schweizer träumen davon, in den eigenen vier Wänden zu wohnen, die Bankschulden nach und nach abzuzahlen und dafür im Alter kein Geld mehr fürs Wohnen ausgeben zu müssen. Bis jetzt sorgt der Staat dafür, dass der Traum häufig ein Traum bleibt. Denn wer im eigenen Haus wohnt, wird vom Steueramt bestraft. Er muss den sogenannten Eigenmietwert versteuern – das ist ein fiktives Einkommen, das ein Immobilienbesitzer erhielte, wenn er seine Wohnung oder sein Haus vermieten würde. Das heisst: Er zahlt Steuern für ein Einkommen, das er gar nie erzielt hat.
Das ist nicht alles: Die meisten Wohnungsbesitzer haben jahrelang gearbeitet und den dafür erhaltenen Lohn versteuert. Wenn was übrig blieb, haben sie es für den Kauf von Wohneigentum auf die hohe Kante gelegt. Mit der Versteuerung des Eigenmietwertes werden sie dann ein zweites Mal zur Kasse gebeten.
Im Gegenzug können sie zwar die Schuldzinsen der Hypotheken und die Unterhaltskosten in der Steuerrechnung abziehen. Davon profitieren können aber nur jene, deren Schuldzinsen zusammen mit den Unterhaltskosten unter dem Strich höher sind als der Eigenmietwert. Dann reduziert sich das steuerbare Einkommen. In einem solchen Fall können Wohnungseigentümer ihre Steuerbelastung senken.
Hypotheken sind für Banken ein lukratives Geschäft
Das heutige System ist also darauf ausgelegt, dass Haus- und Wohnungsbesitzer Schulden machen. Kein Wunder, sind in der Schweiz zurzeit Hypotheken von rund 740 Milliarden Franken ausstehend. Mit dieser Verschuldung von durchschnittlich 89‘000 Franken pro Haushalt sind die Schweizer fast Weltmeister (siehe unten). Von dieser Verschuldung profitiert in erster Linie die Schweizer Finanzbranche. Denn Hypotheken sind ein gutes Geschäft für Versicherungen, Pensionskassen – und hauptsächlich für die Banken.
Das zeigen diese Zahlen: Bei 45 Banken machen die ausstehenden Hypothekarforderungen im Jahr 2008 mindestens 75 Prozent der Bilanzsumme aus. Diese Banken decken ein Drittel des gesamten nationalen Hypothekarvolumens ab. Und bei 16 Banken beliefen sich die ausgewiesenen Hypothekarforderungen gar auf über 80 Prozent der Bilanzsumme. Das gesamte Hypothekarvolumen entspricht rund 23 Prozent der Bilanzsumme aller in der Schweiz domizilierten Banken. Es generiert im langjährigen Schnitt einen Bruttozinsertrag von rund 20 Milliarden Franken pro Jahr.
Neben Eigenmietwert würden auch die Abzüge abgeschafft
Doch das könnte bald ändern: Der Bundesrat will die Besteuerung des Eigenmietwertes abschaffen – und damit auch die bisherigen Abzüge. Mit zwei Ausnahmen: Möglich wäre auch künftig ein Abzug während zehn Jahren für alle, die zum ersten Mal selbst bewohntes Wohneigentum erwerben. Zweitens dürften Kosten für «qualitativ hochwertige Energiespar- und Umweltschutzmassnahmen» von den Steuern abgezogen werden. Mit diesem indirekten Gegenvorschlag reagiert der Bundesrat auf die vom Hauseigentümerverband eingereichte Volksinitiative «Sicheres Wohnen im Alter». Diese will lediglich Rentnern das Recht einräumen, den Eigenmietwert nicht mehr zu versteuern.
Wird die Besteuerung des Eigenmietwertes und der Abzug der Hypothekkosten ab-geschafft, werden viele Eigenheimbesitzer die Schulden zurückzahlen und so ihre Wohnkosten reduzieren. Der Grund: Der Hypothekarzins liegt zwar zurzeit je nach Art und Laufzeit deutlich unter 3 Prozent. Doch der Zins auf dem Sparguthaben sank auf 0,5 Prozent. Und Kassenobligationen mit 5-jähriger Laufzeit werfen vielfach auch nur gerade 1,5 Prozent Zins ab.
Betroffen von einer Abschaffung des Eigenmietwertes wären vom heutigen Marktvolumen von 740 Milliarden rund 70 Prozent jener Hypotheken, die an Privatpersonen vergeben werden. «Diese 500 Milliarden werden auf 250 Milliarden Franken zurückgehen», ist Urs Hausmann überzeugt. Er ist Partner beim Immobilienberatungsunternehmen Wüst & Partner, das seit Jahren den Markt verfolgt.
Von einem Rückgang geht auch Raiffeisen aus. Die Bank ist in den letzten Jahren im Hypothekarbereich überdurchschnittlich gewachsen und weist für 2009 ein Volumen von 111 Milliarden aus – das sind 9,1 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. «Je nach Marktsituation werden 10 bis 15 Prozent wegfallen, entsprechend würde auch der Zinsertrag sinken», so Sprecher Franz Würth. Trotzdem bleibt er optimistisch: «Wir könnten diesen Rückgang über unser Wachstum in drei, vier Jahren wieder kompensieren.»
Weniger zuversichtlich ist der SVP-Nationalrat und ehemalige Chefökonom der Bank Bär, Hans Kaufmann. Er erwartet eine Rückzahlung der Hypotheken um 100 bis 200 Milliarden Franken. Laut ihm würde der Nettozinsertrag der Banken dann «wohl um gegen 1 bis 2 Milliarden sinken». Hausmann geht aufgrund der Ertragsrückgänge im Fall der Abschaffung des Eigenmietwertes von einem stärkeren Konkurrenzkampf unter den Hypothekarbanken aus. Das wäre ein Vorteil für Wohnungsbesitzer, die noch auf eine Hypothek angewiesen sind.
Auch das Baugewerbe fürchtet um seine Geschäfte
Doch ob es so weit kommt, ist heute noch offen. Widerstand kommt aus der Finanzindustrie, die die grosse Verliererin wäre. Die Schweizerische Bankiervereinigung lehnt den Vorschlag des Bundesrates ab. «Der modifizierte Systemwechsel bei der Besteuerung des privaten Wohneigentums widerspricht verfassungsmässigen Grundsätzen der Besteuerung», hielt Direktor Urs P. Roth in der Vernehmlassung fest. Naturaleinkommen aus Vermögen sei dem übrigen Vermögensertrag weiterhin gleichzustellen, fordert er.
Sein Nein zur Abschaffung des Eigenmietwertes begründet Roth zudem mit wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Finanzbranche. Allein das Kreditgewerbe leiste mit 134‘000 Beschäftigten einen Anteil von 9,2 Prozent an der Bruttowertschöpfung, hält er fest. Ein Nein kommt aber noch von einer anderen Seite. «Die Vorlage hat zahlreiche Pferdefüsse», beklagt sich Charles Buser, Direktor von Bauenschweiz, der Dachorganisation des Baugewerbes. Für die Bauwirtschaft stehe vor allem der Wegfall des Steuerabzugs für Unterhaltskosten im Vordergrund, betont Buser.
«Diese Abzugsmöglichkeit ist für viele Betriebe von existenzieller Bedeutung, bei denen ein erheblicher Teil des Umsatzes im Bereich Unterhalt und Erneuerung liegt.» Sehr oft handle es sich dabei um Klein- und Kleinstunternehmen. Falle der Abzug für Unterhalt weg, habe dies negative Auswirkungen auf die entsprechenden Renovationsentscheide der Eigentümer. Buser: «Gemäss einer repräsentativen Umfrage des Schweizerischen Baumeisterverbandes erwirtschaften immerhin 31 Prozent der befragten Mitgliedfirmen über 20 Prozent ihres Umsatzes im Segment Sanierungen und Umbauten.»
Hohe Hypotheken: Die Schweiz – ein Land von Schuldnern
Um die private Hypothekarverschuldung eines Landes zu messen, stellen Volkswirtschafter die gesamte Hypothekarverschuldung der Haushalte in ein prozentuales Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt. Dieses gibt den Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen eines Landes an. Die Schweiz kommt dabei auf eine Verschuldung von 110 Prozent. Das heisst, die privaten Schulden sind 10 Prozent höher als das Bruttoinlandprodukt. In absoluten Zahlen: Durchschnittlich ist ein Haushalt mit 89‘000 Franken verschuldet.
In Europa weist laut der European Mortgage Federation (EMF) nur Island mit 121 Prozent eine höhere Hypothekarverschuldung der privaten Haushalte im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt auf. In Grossbritannien liegt der Wert laut der EMF bei 80,5 Prozent, in Irland und den im Zusammenhang mit der Finanzkrise viel geschmähten USA bei 80 Prozent, in Spanien bei 62, in Deutschland bei 46, in Österreich bei 25 und in Italien bei 20 Prozent.