Die Schweizer AKW-Aufsicht Ensi beurteilte im vergangenen Jahr den Betrieb aller fünf Atomkraftwerke als «sicher». Das ist erstaunlich. Denn im AKW Leibstadt gab es in dieser Periode 10 meldepflichtige Vorkommnisse, in Gösgen 9. Das liegt über dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre und ist mehr als in Mühleberg und Beznau. Dort gab es 2015 je 7 Vorkommnisse. Meldepflichtige Vorkommnisse sind laut Kernenergieverordnung etwa «Funktionsstörungen, die länger als 24 Stunden andauern».
Beznau und Mühleberg zählen zu den ältesten Atomkraftwerken der Welt. Sie stehen seit Jahren wegen technischer Probleme wie Rissen im Reaktordruck-behälter in der Kritik. Die jüngeren AKWs in Leibstadt und Gösgen kämpfen vor allem mit einer mangelhaften Qualitätssicherung:
Vorfall 1: In Leibstadt funktionierten Ende September 2014 während elf Tagen beide Notstandssysteme nicht. Die zwei Grundwasserpumpen waren gleichzeitig ausgefallen. Das AKW hielt sich schlicht nicht an die eigenen Wartungstermine. Die Atomaufsicht Ensi rügte die «unzureichende Wartungsplanung».
Vorfall 2: Bei der Montage von Feuerlöschern hatte ein Servicemonteur sechs Löcher in die innere Stahlhülle des AKWs Leibstadt gebohrt. Grund: Das AKW hatte den externen Arbeiter nicht richtig instruiert.
Die Löcher in der Reaktorschutzhülle blieben sechs Jahre lang unentdeckt. Erst im Juni 2014 erkannte das Ensi die Löcher, rügte «bedeutende organisatorische Mängel» und verlangte Verbesserungen. Laut Greenpeace hatten die Ensi-Kontrolleure zuvor versagt.
Kritik an AKW-Geschäftsleitung
«Die Vorgänge im AKW Leibstadt sind Indizien für eine unzureichende Sicherheitskultur», kritisiert Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter vom Deutschen Bundesministerium für Umwelt und Reaktorsicherheit. Die Sicherheitskultur sei eine der zentralen Aufgaben der Geschäftsleitung eines AKWs.
Vorfall 3: Ein Mitarbeiter im AKW Gösgen machte im Juli 2015 einen Bedienfehler. Es kam zu einer automatischen Reaktor-Schnellabschaltung. Das Ensi schloss die Untersuchung des Vorfalls im Januar ab: Der Bericht erwähnt «Mängel der Qualitätssicherung» sowie das «mehrfache Auftreten von menschlichen Fehlern»: Hilfsmittel wie Dokumentationen seien nicht verwendet und das Vier-Augen-Prinzip verletzt worden.
Vorfall 4: Im Juni 2014 und im Juni 2013 führte in Gösgen jeweils eine Fehlmanipulation zum automatischen Anspringen der Notstromdieselgeneratoren. Im zweiten Fall hatte ein Mitarbeiter während der Jahresrevision «versehentlich» einen falschen Schalter betätigt. Darauf brach die externe Stromversorgung zusammen. Eine Atomanlage braucht selbst im ausgeschalteten Zustand Strom, um das Wasser um die radioaktiven Brennelemente herum zu kühlen.
Neue Mitarbeiter für Sicherheit gesucht
Die AKWs wollen nun neues Personal einstellen: Das AKW Gösgen sucht einen «Fachexperten für Qualitätssicherung». Zu seinen Hauptaufgaben zählt die «Überwachung der vorschriftsgemässen Arbeitsausführung». In Leibstadt ist unter anderem ein «Fachingenieur Instandhaltplanung» gesucht. Zu seinen Hauptaufgaben gehört die «Ausbildung von externen Mitarbeitern».